Warum tötest du, Zaid?
und schon war alles wieder in Ordnung. Während der Rest der Klasse drinnen weiter über der Englischarbeit schwitzte, zog Zaid mit seinen Freunden auf den Bolzplatz und spielte mit ihnen Fußball.
Ein anderes Mal, bei einer Jahresabschlussfeier, überreichte Zaid dem Mathematiklehrer im Namen seiner Klasse eine Dose Pepsi mit der Begründung, dieser sei zum beliebtesten Lehrer der Klasse gewählt worden. Geschmeichelt nahm der Lehrer die Ehrung an und öffnete dankbar die kühle Dose.
Er hatte nicht bemerkt, dass Zaid sie vor der Übergabe kräftig geschüttelt hatte. Und so spritzte ihm das braune Getränk beim Öffnen voll ins Gesicht und auf den Anzug. Die Klasse war begeistert, der Lehrer überhaupt
nicht. Zu Hause gab es natürlich Ärger. Aber wie immer nahm ihn seine Mutter vor dem zornigen Vater in Schutz.
Seine Mutter sei eine großartige Köchin, erzählt Zaid. Immer wenn es Ärger gab, habe sie eines seiner Lieblingsgerichte gekocht – Kebab oder Dolma, gefüllte Tomaten oder gefüllte Paprikaschoten. Zaid lächelt glücklich, wenn er von seiner Mutter spricht.
Als am 11. September 2001 Al-Qaida-Terroristen Passagierflugzeuge ins World Trade Center steuern, ist Zaid fünfzehn Jahre alt. Wenige Wochen danach wird im Fernsehen erstmals über eine Verbindung des Irak zu Al-Qaida spekuliert. Man diskutiert über die Möglichkeit eines amerikanischen Kriegs nicht nur gegen Afghanistan, sondern auch gegen den Irak.
Zaid hält das für blühenden Unsinn. Er kennt niemanden in seiner kleinen Welt, der überhaupt weiß, was Al-Qaida sein soll.
Dass der Irak trotz Wirtschaftssanktionen und jahrelanger UN-Inspektionen Massenvernichtungswaffen haben soll, ist für ihn absurde Propaganda der USA. Wie soll der Irak, »das am strengsten überwachte Land der Welt« – wie Zaid den Irak des Jahres 2001 nennt –, Massenvernichtungswaffen produzieren? So etwas Dummes könne doch keiner glauben. Auch im Westen werde dem Irak das niemand ernsthaft unterstellen. So töricht und böswillig könne man nicht sein. Deshalb ein Krieg – völlig undenkbar! Irgendwann muss es ja auch für sein Land Gerechtigkeit geben.
Als der Krieg im März 2003 dennoch ausbricht, ist Zaid fest davon überzeugt, dass der Irak gewinnen werde. Er glaubt Saddam Hussein, der mehrfach gesagt hatte, die USA hätten gegen den Irak keine Chance. Er nimmt an den täglichen Bittgottesdiensten teil, in denen die Menschen
von Ramadi um göttlichen Beistand flehen. Und stundenlang sitzt er mit seinen Freunden vor dem Fernseher und verfolgt die Kriegsberichterstattung.
Als ein heftiger Sandsturm den amerikanischen Vormarsch einige Tage lang stoppt, denkt er, die Wende sei gekommen. Wenigstens Gott sei aufseiten der Iraker. Er nimmt dem Sprecher der irakischen Regierung, Mohammed Said al-Sahhaf k , jedes Wort ab, wenn dieser erklärt, Bush, Blair und Rumsfeld seien »ein komisches Trio«. Gott werde sie »in der Hölle von Irakern braten lassen«.
Selbst als amerikanische Panzer schon mitten in Bagdad stehen, gibt Al-Sahhaf vor Journalisten feierlich eine »dreifache Garantie« dafür, dass in Bagdad keine amerikanischen Soldaten seien. Die amerikanische Armee sei in völliger Auflösung, ihre Soldaten »begingen zu Hunderten Selbstmord vor den Toren von Bagdad«.
Er wisse heute, sagt Zaid, dass sich die Menschen im Westen über Sahhaf fast kaputtgelacht hätten. Aber im Irak habe sich die Bevölkerung verzweifelt an seine Worte geklammert. Al-Sahhafs Stellungnahmen seien ihre letzte Hoffnung gewesen. Als die Niederlage nicht mehr zu verheimlichen ist, bricht für den siebzehnjährigen Zaid eine Welt zusammen.
In Ramadi tauchen amerikanische Panzer zum ersten Mal Ende April 2003 auf. Sie werden mit Sandalen, Steinen und Gemüse beworfen, berichtet Zaid. Angst habe damals niemand vor ihnen gehabt. Auch umjubelt habe die Amerikaner niemand.
Die Besetzung Ramadis sei in Etappen erfolgt. Erst hätten die US-Truppen die großen Verkehrskreuzungen besetzt, dann die wichtigsten Gebäude, dann seien einige Straßen gesperrt worden, und schließlich sei die Stadt in
einzelne, streng voneinander getrennte Viertel aufgeteilt worden.
Die irakischen Truppen seien einfach nach Hause gegangen. Ihre Uniformen hätten sie versteckt. Alle Armeeangehörigen und Mitarbeiter des Sicherheitsapparats seien von den Amerikanern entlassen worden und von heute auf morgen arbeitslos gewesen. Viele hätten sich direkt dem Widerstand angeschlossen, mit all ihren Waffen und
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