Warum tötest du, Zaid?
ihrer Erfahrung. Andere seien ins Ausland geflohen.
Das Leben der Bevölkerung von Ramadi sei von Tag zu Tag schwieriger geworden. Immer wieder hätten amerikanische Flugzeuge angebliche Widerstandsnester bombardiert und ganze Familien ausgelöscht. Auf den Gebäuden der Stadt hätten amerikanische Scharfschützen auf alles geschossen, was ihnen verdächtig vorkam. Meist hätten sie nur Unschuldige erwischt. Widerstandskämpfer wüssten in der Regel, wie sie sich verhalten müssten, um nicht ins Visier von Scharfschützen zu geraten.
Mit achtzehn Jahren, im Juni 2004, macht Zaid Abitur. Sogar recht ordentlich. Er will im Herbst an der Anbar-Universität in Ramadi wie sein Onkel Abu Saeed Geschichte studieren und dann Lehrer werden. Zaid kennt alle Lausbubentricks, weil er selbst einer war. Ihm wird keiner etwas vormachen. Er möchte junge Menschen zu tüchtigen, selbstbewussten Bürgern erziehen und ihnen zeigen, dass es sich lohnt zu leben. Er freut sich sehr auf seinen späteren Beruf.
Daher habe er sich auch nicht aktiv im Widerstand engagiert, erzählt Zaid. Er interessiere sich eigentlich nicht für militärische Dinge, sondern viel mehr für Geschichte. Außerdem habe er seine Familie nicht gefährden wollen. Seine beiden Brüder Haroun und Karim hätten sich genauso verhalten. In seiner Familie gebe es keine militärische Tradition.
Bis das Schicksal im Juni 2006 auch in seiner kleinen Familie zuschlägt. Zaid fährt sich mit der linken Hand über die Augen, um seine Gefühle zu verbergen. Mit der rechten Hand beginnt er hilflos auf den Rasen zu schlagen.
Abu Saeed, der leise gekommen ist, legt ihm den Arm auf die Schultern. »Wir müssen gehen«, unterbricht er ihn, »der Doktor wird erwartet, ihr könnt morgen weitermachen. « Es ist 13 Uhr und etwas kühler als am Vortag – das Thermometer zeigt gerade einmal 48 Grad an. Wir gehen langsam zu unserem inzwischen völlig verstaubten Chevrolet und fahren los. Auch Zaid kommt mit.
Es geht über holprige Straßen durch die Stadt der Palmen, vorbei an zahllosen Kontrollposten, Richtung Al-Sufia. Wir fahren an Zaids Haus vorbei, umrunden zweimal denselben Block, wenden unvermittelt, so als wolle unser Fahrer Musa irgendwelche Verfolger abschütteln. Wahrscheinlich will er das auch.
Dann halten wir vor einem verfallenen Haus. Ein Tor wird geöffnet. Wir biegen schnell in den Hof ein. Abu Saeed schließt sorgfältig das Tor. Seitlich neben dem Haus sitzt eine Gruppe von fünf Männern, die uns neugierig nachschauen, als wir im Hausinneren verschwinden.
Ich habe Schwierigkeiten, im düsteren Licht des schmucklosen Raums, in dem nur drei alte Sessel und ein niedriger Holztisch stehen, etwas zu erkennen. Abu Saeed sagt, er habe mir versprochen, mich mit aktiven Widerstandskämpfern zusammenzubringen. Er pflege seine Versprechen zu halten. Draußen säßen Widerstandskämpfer aus unterschiedlichsten Gruppen. Sie seien bereit, mir ihre Geschichte zu erzählen. Nur nach ihren Personalien solle ich nicht fragen. Auch fotografieren dürfe ich nicht. Ansonsten könne ich jede Frage stellen.
Ich bin völlig verblüfft. Es war so schwierig, Zaid zum Sprechen zu bringen – und hier hatte Abu Saeed es geschafft,
gleich eine ganze Handvoll Widerstandskämpfer zusammenzutrommeln! Ich stimme seinen Bedingungen zu. Abu Saeed geht an die Tür und gibt der Gruppe ein Zeichen. Dann setzt er sich neben mich, um zu übersetzen.
Omar
Als Erster kommt Omar, ein freundlicher, etwas bullig wirkender sechsunddreißigjähriger Iraker aus Mossul, an meinen wackligen Holztisch. Sein Händedruck ist so kräftig, dass ich mir fest vornehme, bei der Verabschiedung einfach nur »Bye« zu sagen, statt meine Hand noch einmal in diesen Schraubstock zu legen. Omar trägt ein blau gestreiftes T-Shirt und Jeans. Er sieht aus wie Bud Spencer, der Held zahlreicher Italowestern, in seinen jungen Jahren. Nur schaut er deutlich freundlicher in die Welt.
Omar kämpfte von Anfang an im irakischen Widerstand. Er hat bei der Invasion der amerikanischen Truppen zehn Verwandte verloren, darunter seinen ältesten Sohn Mazin. Der – so erzählt Omar – war neun Jahre alt, als amerikanische Soldaten ihn erschossen.
Er werde nie den Hilfe suchenden Blick seines sterbenden Sohnes vergessen. Mazins Augen hätten ihn angefleht: »Papa, hilf mir. Du hast mir doch immer geholfen« – aber er habe ihm nicht helfen können. Mazin sei in seinen Armen verblutet. Selbst einige amerikanische Soldaten seien
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