Warum tötest du, Zaid?
köstlich. Sie scheinen über uns zu sprechen, denn immer wieder schauen sie tuschelnd und kichernd zu uns herüber.
Zwei der vier erwachsenen Frauen tragen die Abaja, ein landestypisches schwarzes Ganzkörpergewand, die zwei anderen haben fröhlich gemusterte, bunte knöchellange Kleider an. Alle haben ihr Haar mit dem schwarzen Hijab, dem traditionellen Kopftuch, bedeckt.
Die jungen Mädchen sind europäisch gekleidet. Sie haben sich heute Abend besonders hübsch gemacht. Shala trägt einen schicken Jeansrock mit rosa T-Shirt, ihre kleinen Cousinen farbenfrohe Hosenkleider oder taillierte Kleidchen. Die Haare haben sie hochgesteckt und mit bunten Bändern geschmückt.
Nach dem Essen gibt es stark gesüßten Tee in kleinen Gläsern. Es dämmert. Von den Nachbargrundstücken hört man fröhlichen Kinderlärm. Es ist fast wie im Frieden – wenn sich nicht drei Kilometer entfernt einer der größten Militärstützpunkte der USA im Irak befände, der den Irakern tagtäglich die Besetzung ihres Landes signalisiert. Nur in Bagdad haben die USA mehr Truppen konzentriert als hier in der Wüstenprovinz Anbar.
Plötzlich tauchen in 50 Metern Höhe Apache-Militärhubschrauber auf. Minutenlang kreisen sie über uns. Abu Saeed schaut mürrisch nach oben. Über den Hubschraubern sehen wir ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug, angeblich eine F-16, auf seinem abendlichen Routineflug über dem »sunnitischen Dreieck«. Plötzlich ist nichts mehr wie im Frieden. Die Gespräche verstummen, die Frauen ziehen sich ins Innere des Hauses zurück.
Zaid sitzt mir schweigend gegenüber. Er ist ein gut aussehender Junge. Wahrscheinlich weiß er das, denn wenn er mit seinen Cousinen spricht, setzt er seinen Charme gezielt ein. Aber ich spüre, dass er damit etwas überspielen will. Denn immer wenn er sich unbeobachtet glaubt, sind seine Augen traurig und nachdenklich. Sein Sunnyboy-Lachen ist das Lachen eines jungen Mannes, der verzweifelt versucht, in diesem irrsinnigen Krieg nicht den Verstand zu verlieren.
Ich muss unbedingt seine Geschichte erfahren. Aber Zaid möchte nichts erzählen. Er will seine Familie nicht gefährden, er will nicht nach Guantánamo auf Kuba und
auch nicht in die Guantánamos des Irak. Auch von dem, was er und seine Familie erlitten haben, mag er nichts preisgeben. Ich rede eine halbe Stunde auf ihn ein, aber ich merke, dass er nicht kann und nicht will.
Abu Saeed, der unsere Diskussion schweigend verfolgt hat, legt den Arm um seine Schulter und sagt: »Lassen Sie ihm etwas Zeit. Er muss darüber schlafen. Vielleicht wird er Ihnen morgen seine Geschichte erzählen. Er muss mit seinem Vater sprechen. Es geht ja nicht nur um ihn. Außerdem werden Sie – wie gewünscht – noch viele andere Widerstandskämpfer kennenlernen.«
»Ich weiß«, nicke ich, »aber ich will keine Geschichte, die man für mich ausgesucht hat. Ich will die Geschichte von Zaid.« Abu Saeed schaut mich lächelnd an. »Haben Sie etwas Geduld. Sie werden seine Geschichte bekommen – Inshallah.«
Dann begleiten wir Zaid, der nach Hause möchte, zum Hoftor, und Abu Saeed wendet sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Telefonieren, zu. Er führt auf seinem großen alten Handy mehrere Gespräche. Offenbar auch mit dem Vater von Zaid, denn mehrfach fällt dessen Name.
Erste Nacht in Ramadi
Inzwischen ist es stockdunkel geworden, und der Imam von Al-Dschasira, ein korpulenter Mann mit kurzen weißen Haaren, ist zu uns gestoßen. Er hält mir einen Vortrag über die Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen und erklärt mir, dass für ihn als Muslim Moses und Jesus zu den größten Propheten gehörten.
Ich bin nicht mehr sehr aufnahmefähig und frage ihn, ob er die Bibel gelesen habe. Das habe er nicht, aber den Koran könne er auswendig rezitieren, alle 114 Suren.
Ich gratuliere ihm, und er erhebt sich würdevoll, um zum Nachtgebet zu schreiten. Die sieben Männer, die sich in ihren weißen Gewändern Richtung Mekka verneigen, geben ein eindrucksvolles Bild ab. Der Imam von Al-Dschasira betet vor. Die Geschicklichkeit, mit der der schwergewichtige Mann die nicht ganz leichten Gebetsübungen durchführt, ist bewundernswert.
Auch der kleine Ali, der mit dem Gartenschlauch in der Hand vor der betenden Gruppe steht, ist beeindruckt. So sehr, dass ihm der Schlauch aus den Fingern rutscht und er den Imam aus Versehen von oben bis unten nass spritzt. Der betet unbeirrt weiter, ohne eine Miene zu verziehen. Die Frauen und
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