Warum tötest du, Zaid?
Mädchen aber, die nach dem Weiterflug der Hubschrauber wieder aus dem Haus gekommen sind und nur wenige Meter entfernt auf dem Rasen sitzen, können ihr Lachen kaum noch unterdrücken.
Ali beginnt sich zu langweilen, weil das Gebet nicht enden will. Er holt den halbplatten Gummiball und bittet mich – indem er meine Fußbewegungen nachmacht –, ihm vor der betenden Männergruppe noch einmal den »doppelten Schweinsteiger« zu zeigen.
Die Frauen können sich jetzt nicht mehr zurückhalten und prusten los. Ich lege meinen Zeigefinger auf die Lippen, um Ali zu verdeutlichen, dass ich ihm heute Abend keine Fußballtricks mehr demonstrieren kann. Vor allem nicht vor seiner betenden Familie und nicht, solange die Frauen so laut lachen.
Etwa zwei Stunden später – es ist inzwischen kurz vor Mitternacht – zeigt mir Abu Saeed, wie zwei Kilometer von seinem Haus entfernt Leuchtraketen in den nächtlichen Himmel geschossen werden. Sie tauchen Teile Ramadis in gleißendes Licht. Hubschrauber sind aufgestiegen und suchen nach Objekten oder Personen. Zwanzig Minuten dauert das nächtliche Aufklärungsmanöver.
Schüsse fallen keine. Irgendwann ist das gespenstische Feuerwerk zu Ende.
Ich frage Abu Saeed, wo ich schlafen soll. Der lacht fröhlich: »Wo Sie wollen«, meint er. Im »gut geheizten« Gästezimmer oder wie seine Familie draußen auf dem Rasen, »bei kühlen 35 Grad«. Die städtische Stromversorgung ist seit Stunden ausgefallen, und auch der Hausgenerator hat wieder einmal seinen Geist aufgegeben.
Ich trotte müde ins Gästezimmer, aber da ist es so heiß, dass ich nach zehn Minuten durchgeschwitzt bin. Gottergeben gehe ich zurück in den Garten. Abseits der Männer-und der Frauengruppe, die durch mit Matten bedeckte Plastikstühle und Pappkartons voneinander getrennt sind, lege ich mich unter einer mächtigen Dattelpalme auf eine dünne Schaumstoffmatratze.
Das letzte Mal habe ich in den achtziger Jahren im Hindukusch mit den Mudschaheddin im Freien übernachtet. Ich hatte mir damals fest vorgenommen, in Zukunft auf diese meist sehr anstrengende Art, die Nacht zu verbringen, zu verzichten. Aber was soll’s, ich habe keine andere Wahl.
Der Himmel ist sternenklar. Ich kann lange nicht einschlafen. Ich starre in den Himmel und frage mich wieder, was mich hierhergetrieben hat. Wie gerne läge ich jetzt zu Hause in meinem gemütlichen Bett und würde schlafen, schlafen, schlafen. Hier aber liege ich mit meiner durchgeschwitzten Dishdasha unter einer Dattelpalme und finde keine Ruhe.
Plötzlich gegen zwei Uhr – fast hätte ich es geschafft, einzuschlafen – höre ich wieder Hubschrauberlärm und Geschützfeuer. Ich springe auf und gehe zur Gartenmauer. An der Stelle, an der vor einigen Stunden Leuchtraketen abgeschossen wurden, kommt es zu einem Feuergefecht. Hubschrauber schweben über dem Ort, Explosionen sind
zu hören. Das Ganze dauert keine halbe Stunde, dann ist der Spuk vorbei.
Abu Saeed hat sich leise neben mich gestellt. Ich frage ihn, wie das Gefecht mit der Feuerpause in Ramadi zu vereinbaren sei. Abu Saeed lächelt, das wisse er auch nicht. Der Widerstand bestehe aus vielen Gruppen, die seien nicht leicht zu steuern. Vielleicht gebe es auch noch ein paar versprengte ausländische Al-Qaida-Kämpfer.
Außerdem funktioniere die Feuerpause nur im Stadtgebiet von Ramadi, und das habe einen Durchmesser von gerade einmal vier Kilometern. Rund um die Stadt werde weitergekämpft. Vor allem nachts. An diesen Kämpfen beteiligten sich auch Männer jener Stämme, die tagsüber mit den Amerikanern kooperierten. Iraker könne man vielleicht mieten, aber nicht kaufen.
Auch tagsüber werde im Umland weitergekämpft. Heute Nachmittag sei nicht weit von Ramadi auf der Straße nach Bagdad ein Humvee in die Luft gesprengt worden. Mehrere US-Soldaten, aber auch einige Widerstandskämpfer seien ums Leben gekommen. Nur im Zentrum von Ramadi selbst werde zurzeit nicht gekämpft – jedenfalls meistens nicht.
Genauso leise, wie er gekommen ist, entschwindet Abu Saeed zu seinem Nachtlager. Auch ich lege mich wieder auf meine dünne Matratze und falle endlich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Zaids Träume
Kurz nach sechs Uhr morgens donnern erneut zwei amerikanische Apache-Hubschrauber über das Haus und reißen mich aus dem Schlaf. Es ist schon hell. Abu Hamid scheucht die Kinder, die sich in Decken eingemummt haben,
von ihren Schaumstoffmatratzen. Um sechs Uhr ist in Ramadi Aufstehenszeit.
Mir ist das
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