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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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verschwenden, den er am Lac Vert verbringen konnte. Die Eishockeysaison stand vor der Tür, und bis zu ihrer Rückkehr würde ein weiteres Jahr vergehen.
    »Sie ist spät dran«, sagte Martin.
    »Wir haben einen Termin für zwei Uhr. Jetzt haben wir fünf nach.«
    Martin nahm eine Ausgabe des Boston Magazine in die Hand. Das Lesen fiel ihm schwer, aber als er die Zeitschrift aufschlug, sah er sein Foto. Er trug das Trikot der Boston Bruins, hatte den Arm um Ray gelegt, grinste in die Kamera. Er dachte an den Stanley Cup, der dem Team durch seine Schuld entgangen war. Er hoffte, dass er die Chance bekam, noch eine weitere Saison zu spielen, den Cup im nächsten Jahr endgültig zu gewinnen.
    »Das bist ja du«, sagte May, ihm über die Schulter blickend.
    Martin nickte. Er starrte das Bild an, aber es blieb verschwommen. Der Druck in der Magengrube wurde immer größer. Was würde ihm diese Ärztin, der er nie zuvor begegnet war, erzählen? Er nahm zu Gedankenspielen Zuflucht. Wenn sie bis Viertel nach zwei erscheint, bedeutet das, alles ist in Ordnung. Oder wenn sie lächelt.
    Er versuchte, sich anhand des Wartezimmers ein Bild von ihr zu machen. Er sah Lederstühle, einen bunten, mit Kettenstich bestickten Teppich, einen niedrigen Beistelltisch mit Zeitschriften. Eine blaue Vase mit gelben Blumen. Große Schwarz-Weiß-Fotos von Leuchttürmen an jeder Wand. Der Raum wirkte anheimelnd, weniger nüchtern und geschäftsmäßig als die Praxis des Optometrikers in LaSalle. Was konnte sie ihm anderes sagen als er? Er war hier, weil May Dr. Collins vorgeschlagen hatte, aber er fragte sich, ob er auf ein Karussell aufgesprungen war, das eine Runde nach der anderen drehte und ihn von einem Spezialisten zum nächsten führte.
    Die Tür öffnete sich und eine ältere Frau betrat das Wartezimmer. Jede Hoffnung, es möge sich um die Sprechstundenhilfe der Ärztin handeln, zerschlug sich, als Martin den weißen Kittel und die ehrfurchtgebietende Haltung wahrnahm, mit der sie den Raum durchquerte – lächelnd, wie er merkte, während er ein Flattern im Magen verspürte.
    »May, bist du es wirklich oder träume ich?«
    »Dr. Collins?«
    »Ja. Ach meine Liebe. Du bist ja richtig erwachsen geworden! Es ist so lange her …« Die Ärztin umarmte May lange. Martin nutzte die Gelegenheit, sich auszurechnen, wie lange es dauern mochte, bis er ihr vorgestellt, flüchtig untersucht und höflich verabschiedet würde.
    »Wie geht es Ihrem Mann?«, fragte May, als sie sich schließlich voneinander lösten. »Ich erinnere mich noch an die Hochzeit. In der Old North Church, Sie hatten Lichter im Glockenturm aufgehängt, genau wie Paul Revere. Der große amerikanische Revolutionsheld«, fügte sie an Martin gewandt hinzu.
    »William ist gestorben. Letztes Jahr. Wir hatten dreißig wundervolle Jahre miteinander. Ich vermisse ihn sehr …«, sagte die Ärztin. Sie hatte große, ruhige Augen.
    »Das tut mir Leid. Ich erinnere mich noch, wie liebevoll er Sie immer angesehen hat. Ich war erst sieben, aber so etwas vergisst man nicht.« Martin wusste von May, dass ihre Familie zahlreiche Hochzeiten in Neuengland organisiert hatte, von Greenwich in Connecticut bis Bar Harbor in Maine, und einige länger als andere im Gedächtnis haften blieben.
    »Und Sie sind Martin.«
    »Ja. Martin Cartier.«
    »Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen. William war ein großer Eishockeyfan. Wir haben Sie oft spielen sehen. Und nun sind Sie mit May verheiratet.«
    »Die Freude ist ganz meinerseits, Dr. Collins.«
    »Sagen Sie bitte Teddy zu mir. May, du natürlich auch. So hat mich deine Mutter genannt. Deine Großmutter hat sich geweigert, für sie war und blieb ich Theodora, aber das passte zu ihr. Sie war immer korrekt und förmlich, in jeder Situation. Aber lasst uns hier nicht herumstehen wie bei einer Empfangszeremonie. Okay?«
    »Okay«, sagte May.
    Martin musterte sie verstohlen. Er schätzte sie auf etwa fünfundsechzig. Ihre Haare waren schlohweiß, hochgesteckt und auf dem Hinterkopf zu einem lockeren Knoten geschlungen. Sie trug eine Halskette und dazu passende Ohrringe. Ihre Augen waren strahlend blau, weise vom Alter und jugendlich zugleich. Sie erinnerte ihn an seine eigene Mutter. Aber wäre eine junge Augenärztin nicht besser, ehrgeizig und auf dem neuesten Wissensstand in einem medizinischen Bereich, der sich vermutlich ständig veränderte?
    »Bitte.« Sie hielt die Tür zum Sprechzimmer auf.
    Hinter der weißen Tür lag eine völlig andere

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