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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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schmerzen, aber das ist nur ein Vorwand. Er will mich nicht.«
    »Das muss immer noch ein Schock für ihn sein«, sagte Tobin.
    »Für mich ist es das auch.«
    »Du darfst ihm aber nicht alles durchgehen lassen.«
    »Ich versuche es. Aber Martins Willenskraft ist unglaublich. Wenn er sich etwas vornimmt, macht er es wahr.«
    »Du aber auch. Ich kenne dich. Oder hast du das vergessen?«
    Sie waren seit Ewigkeiten gemeinsam durch dick und dünn gegangen und sie wusste, dass ihre Freundin Recht hatte. Während sie in die Pedale trat, streckte sie den Arm zu Tobin herüber und sie fuhren Hand in Hand weiter. Der Wind frischte auf, so dass sie ihre Mäntel enger um sich zogen.
    »Was soll ich bloß machen?«, fragte May.
    »Egal was, aber es muss etwas geschehen!«
    *
    In einer Dezembernacht, als Schnee auf dem Beacon Hill lag, klopften Engel an Kylies Fensterscheibe und baten um Einlass. Kylie rieb sich schlaftrunken die Augen. Sie glaubte, Schneegestöber über dem Louisburg Square zu erkennen – oder war das etwas anderes?
    Sie sprang aus dem Bett und tappte zum Fenster: Da flogen wirklich Geister und Engel durch den Schnee. Die Hände gegen die Mittelstrebe des Fensters gepresst, spürte sie, wie die Kälte ihre Finger hinaufkroch, in ihren Körper hinein. Die Wesen riefen ihr etwas zu, als sie vorbeiflogen, aber sie waren zu schnell.
    »Was habt ihr gesagt?«, rief sie verzweifelt und wünschte sich, dass sie anhielten.
    Und dann entdeckte sie Natalie.
    Kylie schnappte nach Luft, drückte ihre Stirn an das Glas, um besser sehen zu können. Das kleine Mädchen hielt vor ihrem Haus an, direkt vor dem Fenster. Obwohl sie sich lange nicht mehr gesehen hatten, hätte sie Natalie überall wiedererkannt. Sie nickte Kylie lächelnd zu, forderte sie mit einem Kopfwinken auf, ihr zu folgen.
    Kylie war hellwach, und plötzlich waren alle Engel spurlos verschwunden. Wie von Zauberhand. Hatte sie geträumt? Sie blickte angestrengt nach draußen, und plötzlich sah sie etwas an der Fensterscheibe glitzern. Es waren weder Eiszapfen noch Schneeflocken, sondern etwas anderes. Es sah aus wie der Glimmer, den sie in der Kammer am Lac Vert gefunden hatte … Natalies Tränen.
    In welche Richtung waren die Engel geflogen? Kylies Blick wanderte über die Schindeldächer, an den Backsteingebäuden und weißen Kirchtürmen von Boston vorbei. An der Old North Church erspähte sie eine wundersame weiße Wolke. Es konnte Schneegestöber, oder aber Engel auf ihrem Flug sein: über die Kirche, aus Boston hinaus, in Richtung Norden, in das Land der Berge und Seen. Nach Hause, zum Lac Vert.
    »Mommy!«, schrie Kylie und rannte den Gang entlang.

    *

    May starrte das blaue Tagebuch an. Nachdem es viele Monate unangetastet geblieben war, hatte sie soeben etliche Seiten mit Beschreibungen von Kylies neuesten Visionen gefüllt. Als sie die Zeilen noch einmal überflog, erinnerte sie sich, wie besorgt sie gewesen war.
    »Es waren Engel, und sie sind zum Lac Vert geflogen«, hatte Kylie erzählt, ganz unruhig vor Aufregung. »Sie wollen, dass wir ihnen folgen. Dort wird irgendetwas passieren.«
    »Was denn, Liebes?«
    »Das weiß ich nicht. Aber ich glaube, es hat damit zu tun, Martin zu helfen.«
    Es hatte eine Weile gedauert, bis sie das Ganze verdaut hatte. May erinnerte sich nun daran, und auch an das, was Tobin bei ihrer Radtour im November gesagt hatte: Etwas muss geschehen.
    In der Vorweihnachtszeit war die Bostoner Innenstadt in ein Lichtermeer getaucht. Die Boston Bruins hatten ein wechselhaftes Jahr gehabt und ohne Martin Cartier nicht zu ihrer alten Form gefunden. Entmutigt vom enttäuschenden Verlauf der Saison, hatte Ray beschlossen, mit der Familie über die Feiertage an den Lac Vert zu fahren. Normalerweise blieben die Cartiers bis zum Frühjahr in Boston, aber Kylies Vision hatte May nachdenklich gestimmt.
    »Martin. Ich möchte, dass wir Weihnachten wegfahren«, sagte sie.
    »Wohin?«
    »Zum Lac Vert.«
    Bleierne Stille lag im Raum.
    »Hast du gehört?«
    »Die Antwort lautet Nein.«
    »Aber Martin –«
    »Nein!«, brüllte er.
    Er saß in seinem Sessel am Fenster und tat das, was er den ganzen Tag tat: nichts. Er starrte ins Dunkel, knurrte jeden an, der ihm zu nahe kam, und rannte gegen die Möbel, wenn er sich den Weg ins Badezimmer bahnte.
    Teddy hatte vorgeschlagen, einen Physiotherapeuten aufzusuchen, aber Martin hatte sich geweigert. »Kein weißer Stock, keine dunkle Brille«, hatte er damals geschworen und er hielt sich

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