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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Kummer und seine Scham spüren. »Wenn ich hier drinnen sitze und nichts sehe, habe ich das Gefühl, dass es mich gar nicht mehr gibt. Ich spüre, dass du mich jetzt in den Armen hältst, aber das bin nicht ich, sondern ein Geist, ein Schatten meiner selbst – Luft.«
    »Ich umarme dich.« May küsste seinen Hals, seine Stirn, seine Lippen. »Du bist hier, bei mir. Du bist real und lebendig, derselbe Martin Cartier, der du immer warst. Und wir fahren an den Lac Vert. Und zwar jetzt.«
    »Nein«, sagte er, aber sie hörte, wie halbherzig es klang. Seine Stimme klang, als hoffte er, sie möge ihn überreden.
    »Doch«, sagte sie. »Ich sitze hier nicht mehr herum. Ich tue was.«
    *

    Und so fuhren sie schließlich.
    Sie kamen spät in der Nacht an, Kylie schlief bereits seit Stunden. May hatte sich beklommen gefragt, wie sie bei dem tiefen Schnee die Auffahrt zu ihrem abgelegenen Haus in den kanadischen Wäldern hinaufkommen sollte, aber ihre Sorge erwies sich als unbegründet. Genny hatte Ray in weiser Voraussicht gebeten, die Auffahrt mit dem Schneepflug und den Gehweg mit der Schaufel zu räumen.
    May weckte Kylie auf und bat sie, ins Haus zu gehen. Es waren kleine Dinge wie diese – Martin hätte Kylie ins Haus getragen, ohne dass sie aufgewacht wäre –, die bewirkten, dass May die Vergangenheit schmerzlich vermisste. Aber sie spürte, wie Martin ihren Arm nahm, und als sie ihn den schneebedeckten Weg hinaufführte, ermahnte sie sich, dankbar zu sein.
    Das Haus war warm und gemütlich. Genny hatte eine Girlande an der Tür aufgehängt und einen kleinen Weihnachtsbaum aufgestellt. Als gute Freundin, die sie war, hatte sie das Bäumchen nicht geschmückt und es Kylie überlassen, es später selbst zu tun. Sie hatte auch einen Korb mit frisch gebackenen Muffins und ein Glas Ingwermarmelade für das Weihnachtsfrühstück hinterlassen.
    In den letzten Tagen hatte es kräftig geschneit, und draußen war alles weiß. May wünschte sich, der Mond würde scheinen, so dass sie die Berge und den See sehen konnte, aber sie entdeckte nur einen einzigen Stern am Himmel. Er stand über den Hügeln im Norden, funkelte hell am nächtlichen Firmament.
    Kylie spähte auf den See hinaus, als suche sie etwas.
    »Sind sie da?«
    »Wer?«, fragte Martin.
    Aber Kylie antwortete nicht. Sie hielt noch immer nach den Engeln Ausschau, denen sie in den Norden gefolgt waren, wollte zum See laufen, kam aber vom Weg ab und blieb im tiefen Schnee stecken. May nahm sie auf den Arm und trug sie ins Haus.
    »Sie sind nicht gekommen. Das war nicht der richtige Weg«, sagte Kylie weinend.
    »Warte bis morgen. Ich bin so froh, dass wir hier sind, und es war allein deine Idee.«
    »Wirklich?«
    »Ja.« May gab ihr einen Gutenachtkuss und deckte sie mit der warmen Winter-Steppdecke zu. May war erschöpft von der langen Fahrt. Sie wäre gerne noch eine Weile aufgeblieben, um den Duft der immergrünen Zweige einzuatmen, mit denen Genny das Haus geschmückt hatte, und die friedliche Stimmung in ihrem Heim zu genießen, aber sie konnte die Augen kaum noch offen halten. Martin und Thunder saßen unten im Wohnzimmer.
    »Wer ist nicht gekommen?«, fragte Martin, als er sie eintreten hörte. »Wovon hat Kylie geredet?«
    »Über einen Traum, den sie letzte Woche hatte. Von Geistern, die der Vergangenheit angehören.«
    »Davon gibt es hier viel zu viele«, sagte Martin bitter. »Wir hätten nicht herkommen sollen.«
    »Vielleicht denkst du morgen anders darüber.«
    Er brummte etwas. Lag es daran, dass er sie immer noch freigeben wollte, oder war er nur müde nach der langen Fahrt? Sie küsste ihren Mann heftig auf die Lippen und zog es vor, Letzteres zu glauben. »Komm bald ins Bett, ja?« Er antwortete nicht, und sie ließ es dabei bewenden.

    *

    Martin wusste nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. War er eingeschlafen? Und wenn ja, was hatte ihn aufgeweckt? Die Uhr seiner Mutter tickte auf der anderen Seite des Raumes. Sein Ellenbogen lag auf einem kleinen Tisch aus Kiefernholz, ein Geschenk von der Großmutter seines Vaters in Alberta. War May oder Kylie etwas passiert?
    Kylies Träume von Geistern, die der Vergangenheit angehörten. Irgendwie hatten sie sich in Martins Kopf geschlichen und er hatte von früher geträumt. Von anderen Weihnachtsfesten, vor langer Zeit, im selben Haus. Das Klappern der Stricknadeln seiner Mutter, das Gefühl, ein Kind im Arm zu halten.
    »Natalie«, sagte er laut.
    Irgendetwas bewegte sich auf der anderen Seite

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