Was allein das Herz erkennt (German Edition)
zu Tante Enid: Sie legte andauernd Bilder von schönen Kleidern und Schleiern, die ihrer Meinung nach genau zu Mommys Gesicht passen würden, auf Mommys Schreibtisch.
Aber Kylie sah, dass Mommys Zeichnungen alle im Papierkorb landeten. »Gefällt es dir nicht?«, fragte Kylie sie oft. »Zu steif«, antwortete Mommy dann stirnrunzelnd, oder: »Zu pompös.« Kylie begann sich Sorgen zu machen, dass Mommy überhaupt kein Kleid gefallen könnte, dass sie vielleicht gar nicht heiraten wollte.
Nachdem die beiden einen Monat lang miteinander ausgegangen waren, fand Kylie eines Tages die Wahrheit heraus. Es war Mitte Juni, an einem Samstagabend, als die beiden auf die Chadwicks warteten, die sie zu sich eingeladen hatten. Sie saß zwischen Mommy und Martin auf der Veranda vor dem Haus und beobachtete die Glühwürmchen auf dem Feld.
»Da ist noch eines!«, rief Kylie, genau mitzählend. »Und da. Elf, zwölf …«
»Warte, bis du die Prachtexemplare in Kanada siehst«, sagte Martin. »Meine Mutter hat mir früher erzählt, dass es Sternschnuppen sind, die vom Himmel fallen. Wenn wir dort sind, werde ich sie dir zeigen.«
»Wann fahren wir?«, fragte Mommy.
»Wann immer du willst.« Martin versuchte, sie an sich zu ziehen. Er hielt Mommys Hand, hinter Kylies Rücken, und es war schön, sich zurückzulehnen und sich in ihre Arme zu kuscheln.
»Wann immer?« Mommy blickte Martin über Kylies Kopf hinweg an, ihre Augen strahlten wie die Sternschnuppen, von denen Martin gesprochen hatte.
»Ja, wenn es Tobin nicht allzu sehr aus dem Konzept bringt.«
»Sie wird es verstehen. Wir kommen ja irgendwann zurück, oder?«
»Irgendwann, ja«, lachte er.
»Lass uns durchbrennen.«
»Durchbrennen?«, fragte Kylie. »Was ist das?«
»Klammheimlich wegfahren und in aller Stille heiraten, ohne großes Tamtam«, erklärte Mommy und Martin lachte wieder. Mommy drehte sich um, so dass ihr Rücken am Geländer der Veranda angelehnt war, beugte sich aufgeregt nach vorne und sah Martin an. »Sich nur auf das Wichtigste besinnen und auf den Rest verzichten.«
»Den Rest?«, fragte Martin. »Aber der fällt doch in dein Metier.«
»Ja. Und manchmal kann ich es selber nicht glauben. Jemandem zu helfen, den Rest des Lebens mit dem geliebten Menschen zu planen … das ist eine wunderbare Aufgabe. Aber alles andere, wie Termine mit der Kirche ausmachen, den Bibeltext für die Trauung aussuchen, entscheiden, wer zur Hochzeit eingeladen werden soll, Anzeigen drucken lassen, Trauzeugen auswählen, ein Gästebuch kaufen …«
»Ein Gästebuch.« Martin lachte.
»Passt das zu uns?« Mommy lachte ebenfalls.
»Was passiert sonst noch, wenn du deine Hochzeit planst?«
»Ich suche ein Brautkleid aus oder entwerfe es selbst, lasse mehrere Anproben über mich ergehen, muss üben, wie ich den Schleier in meiner Frisur befestige, und sehen, wie der Kopfschmuck dazu passt …«
»Kopfschmuck? Den haben wir im Hockey auch«, scherzte Martin.
»Ich habe keine Lust auf Anproben«, sagte May und kletterte über Kylie hinweg auf Martins Schoß. Sie küsste ihn zärtlich auf beide Wangen. »Und ich habe auch keine Lust, mich wie ein Pfingstochse herauszuputzen.«
»Nein?«
»Gestern habe ich zwei Stunden mit einer jungen Braut verbracht, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie die Stiele ihres Brautstraußes umwickeln sollte oder nicht. Mit pinkfarbenem oder gelbem Satinband, oder lieber ohne. Pfingstrosenstiele mit oder ohne Umhüllung, man stelle sich das vor. Zwei volle Stunden.« Mommy kicherte und küsste Martin abermals. »Normalerweise habe ich eine Engelsgeduld, meistens macht es mir nichts aus, den Bräuten den ganzen Tag zuzuhören, aber gestern habe ich ständig an dich denken müssen. Nur an dich.«
»Und, willst du die Stiele von deinem Brautstrauß umwickelt haben?«, fragte Martin, und Kylie gefiel die Art, wie er lächelte, als er Mommy neckte.
»Mein Brautstrauß ist mir egal. Alles, was mir wichtig ist, sind Kylie und du.«
»Vielleicht ist das keine schlechte Idee, durchzubrennen und in aller Stille zu heiraten«, stimmte Martin ihr zu und Kylie sah, dass er ihre Mutter im Arm hielt, als sei sie das Zerbrechlichste und Kostbarste auf der Welt. Kylie wäre gerne auf seine Knie geklettert, aber sie schaute gebannt zu. »Ich könnte mit dir nach Kanada fahren, nach LaSalle, und dort würde ich dir die Berge und den See zeigen, an dem ich aufgewachsen bin.«
In diesem Moment fuhren die Chadwicks in ihrem alten Kombi vor. Die
Weitere Kostenlose Bücher