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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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haben.
    «Drei. Hast du bemerkt, wie Mike junior sich benahm? Wie er aussah? Hast du dieses ungarische Band um seine Stirn gesehen, dieses Band im Ethnolook, oder was immer das ist?»
    «Erinnere mich bloß nicht daran», sagte er spitz. «Kein Wort davon. Es macht mich nur wütend. Warte mal ab, bis er versucht, einen Job zu bekommen.»
    «Er wird niemals einen Job bekommen. Mike wird ihm schon unter die Arme greifen. Und seine Haare! Die ganze Zeit, während ich mich mit ihm unterhielt, hat er damit herumgespielt. Faltete sie zusammen, flocht sie in Zöpfchen, strich sie glatt, zupfte daran.»
    «Worüber hast du dich mit ihm unterhalten?»
    «Dummes Zeug, Blödsinn.»
    «Sie sind nicht alle so übel», sagte Otto.
    «Wasserbabys. Sie kommen aus dem Wasserhahn, nicht aus Menschen.»
    «Sie wollen Neger sein», sagte Otto gähnend.
    «Ich wüßte gern, was sie vorhaben», sagte sie und erinnerte sich plötzlich daran, daß sie Mikes Vater gesagt hatte, sie wolle Jüdin sein.
    «Sie haben beschlossen, Kinder zu bleiben», sagte er verschlafen, «und wissen nicht, daß niemand diese Option hat.»
    Was war ein Kind? Und woher sollte sie es wissen? Wo war das Kind, das sie gewesen war? Wer konnte ihr sagen, wie sie gewesen war? Sie hatte ein Foto von sich als Vierjährige, auf einem Korbschaukelstuhl sitzend, einem Kinderstuhl,die Beine ausgestreckt, in weißen Baumwollhöschen, und mit irgend jemandes Panamahut, der viel zu groß für sie war. Wer hatte alle diese Dinge arrangiert? Panamahut, Korbstuhl, weißes Baumwollhöschen? Wer hatte das Foto aufgenommen? Es war schon am Vergilben. Was hatte Mike junior, ungepflegt, geheimnisvoll, scheinbar gleichgültig, der diese priesterliche Sprache sprach, die sie beleidigte und zugleich ausschloß, mit ihrer Kindheit zu tun? Mit irgendeiner Kindheit?
    «Otto?» Aber er schlief. Ein Auto fuhr vorüber. Eine leichte Brise kam durch das offene Fenster und wehte Hundegebell herein. Dann hörte sie ein Klopfen, eine Faust gegen Holz. Sie ging zum Fenster und schaute über den Sims hinunter, der die Treppe und jeden, der dort stand, verdeckte.
    Sie hörte eine Art Ächzen, dann mehrere Stakkato-Klopfgeräusche, dann ein Flüstern. Hatte sich ihre Kopfhaut wirklich bewegt? Sie blickte sich um und sah auf das Bett. Dann ging sie in den Flur und die Treppe hinunter und hielt dabei ihre Hand steif gegen die weichen Falten ihres Nachthemds.
    Vor der Eingangstür blieb sie stehen, versteckt von den Vorhängen, die die Glaseinsätze bedeckten, und lauschte und spähte. Jenseits der Tür schwankte ein großer Körper hin und her, und ein großer Kopf wandte sich zuerst zur Tür, dann wieder ab.
    «Otto …», seufzte traurig eine Stimme.
    Sophie sperrte die Tür auf. Charlie Russel stand dort, ein Revers nach oben geklappt.
    «Charlie!»
    «Pst!»
    Er trat in den Eingang, und sie schloß die Tür. Dann standen sie dicht beieinander wie zwei Leute, die sich umarmen wollen. Sie fühlte, daß sein ganzes Gesicht siewie ein riesiges Auge beobachtete. «Ich muß mit Otto reden», flüsterte er mit Nachdruck.
    «Er schläft.»
    «Ich bin in einer schrecklichen Verfassung. Ich muß ihn sehen.»
    «Jetzt? Bist du verrückt?»
    «Weil ich ihn nicht eine Sekunde früher sehen konnte. Weil ich so lange gebraucht habe, von heute morgen, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, um zu dem Punkt zu kommen, an dem ich jetzt bin. Es ist mir egal, wieviel Uhr es ist.» Er streckte die Hände aus und packte ihre Arme.
    «Ich wecke ihn nicht auf», sagte sie wütend.
    «Dann tu ich’s.»
    «Du tust mir weh. Mich hat eine Katze gebissen.»
    «Ich fühle mich wie erschlagen», sagte Charlie, ließ sie plötzlich los und lehnte sich gegen die Wand. «Hör zu. Gehen wir irgendwohin und trinken eine Tasse Kaffee. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, möchte ich diesen Scheißkerl gar nicht sehen.»
    «Weiß Ruth, wo du bist?»
    «Welche Ruth?»
    «Du machst Witze», sagte sie. «Ich mag keine Ehefrauen-Witze. Sie bringen mich auf die Palme.
Mir
brauchst du keine Ehefrauen-Witze zu erzählen.»
    Er beugte sich herab und schielte ihr ins Gesicht. «Du klingst verrückt.»
    «Ich bin verrückt,» sagte sie.
    «Möchtest du? Eine Tasse Kaffee?»
    «Ja.»
    «Komm, wir reißen aus», sagte er und klatschte in die Hände.
    «Ich muß mich anziehen. Bleib ganz ruhig. Ich bin gleich wieder unten. Hier ist ein Stuhl. Rühr dich nicht.»
    Sie zog sich leise an; nicht einmal die sorgfältig über dem Arm hochgekrempelten

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