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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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die Hand hoch. «Es ist nur ein Biß, nur ein Biß!»
    «Otto sollte sie fangen und zu einem Tierarzt bringen. Die können so was feststellen», sagte er beschwichtigend. «Jetzt beruhige dich wieder.»
    «Vor Schmerzen habe ich mehr Angst als vor dem Sterben», sagte Sophie. «Ich werde nicht einmal zulassen, daß man mir Schmerzmittel gibt, weil ich Angst habe, daß die Schmerzen letztlich die Oberhand über sie gewinnen werden. Und dann würde es nichts anderes mehr geben als Schmerzen.»
    Er lachte, und sie fand ihn grausam. Dann lachte sie auch. Ein Polizist trat aus dem dunklen Eingang eines Postamts und ging langsam auf sie zu. Charlie legte seinen Arm um sie, und sie überquerten die breite Straße und gingen eine Gasse hinauf. «Warum komme ich mir wie ein Schwindler vor?» murmelte er.
    «Was für einen Sinn hat ein Treffen mit Otto?» fragte sie ihn plötzlich. «Es hat keinen Sinn, oder?»
    «Er soll anerkennen, daß etwas Wichtiges passiert ist. Weißt du, daß dann, wenn die Leute sich langsam und unwiderruflich verändern und alles abstirbt, der einzige Weg zu ihrer Heilung aus einer Bombe durchs Fenster besteht? Ich kann nicht so leben, als hätte sich nichts verändert.»
    «Du bist derjenige, der gegangen ist», sagte sie. «Er weiß nicht einmal, daß du solche Gefühle hegst.»
    «Nein, weiß er nicht. Das ist sein moralisches Versagen.»
    Sein Gesicht
war
das eines hübschen Babys, dachte sie, genau, wie Mike Holstein gesagt hatte. Einmal, als sie ihn für einen kurzen Augenblick sozusagen im Ganzen sah, im letzten Sommer draußen im Boot an einem unbeschwerten,strahlenden Tag, die blauen Augen weit geöffnet, während er den Mast hinauf zum Verklicker sah, mit sommersonnengebleichtem Haar, mit geschürztem Mund und knolliger Nase, da hatte er sie an einen Renaissance-Putto erinnert.
    «Schau, da ist was offen», sagte sie. «Was verstehst du unter moralischem Versagen? Er ist wie die meisten Menschen.»
    «Ich interessiere mich nicht für die meisten Menschen.»
    «Ich dachte, das sei gerade deine größte Sorge: die meisten Menschen.»
    «Feilsch nicht mit mir herum», sagte er und drückte die Tür auf. Er schob sie eilig hinein. «Mein Gott, ist mir kalt», sagte er.
    Auf die Tapete mit Ziegelsteinmuster warfen ein paar schummrige Lampen einen orangefarbenen Schein. Irgendwo in der Düsterkeit spielte leise ein Radio, in dem es hin und wieder krachte. Der Barkeeper, eine Hand auf der Theke, die andere auf einem Brett gegenüber, stand breitbeinig über seiner schmalen Arena und schob den Kopf vor, um den stummen Bildschirm eines kleinen Fernsehgeräts zu betrachten, das von der Decke herabhing.
    «Ist das Alice Faye?» fragte Sophie.
    Der Barkeeper drehte sich um und sah sie an. Er lächelte. «Die gute alte Alice», sagte er.
    Sie gingen in eine Nische, aber niemand kam, um sie zu bedienen. Charlie sagte, daß er am liebsten ein Dreiminuten-Ei mit etwas Butter darin und eine Tasse starken schwarzen Kaffee hätte. Das ist ein Wunsch für den Morgen, dachte Sophie. Er ging zur Theke und holte zwei Flaschen dänisches Bier.
    Während er sich hinsetzte, räusperte sich ein Mann in der Nische nebenan heftig. Dann sagte er: «Aufrichtigkeitgeht mir über alles. Offen gesagt,
ich
hätte Hitler nicht angelogen.»
    Man hörte so etwas wie raunende weibliche Zustimmung. Sophie schielte über die Rückseite ihrer Nische hinweg und sah eine Frau, die den Kopf auf eine Hand stützte, als habe er sich von ihrem Hals gelöst.
    «Woher weißt du, was Otto empfindet? Was soll er deiner Meinung nach tun? Du und er, ihr habt jahrelang gekämpft, stimmt’s? Wie lächelnde Menschen in einem Swimmingpool, die sich unter Wasser gegenseitig Tritte versetzen.»
    «Meinungen zählen letzten Endes nicht», sagte er entmutigt. «Zuneigung … Treue. Ich habe Otto immer gemocht. Heute hat er sich mir gegenüber verhalten, als wäre ich der Junge, der die Sandwiches und den Kaffee ins Büro bringt.» Er rieb sich heftig die Augen und blinzelte sie dann an. «Er hat sich in einer Kiste eingeschlossen», sagte er. «Squire Bentwood … mußte seine Frau begraben … tot, weißt du.»
    «Ich bin seine Frau», sagte sie, «und nicht begraben.»
    «Wenn sein ältester Freund sich mit schwarzen Pächtern und anderen unerwünschten Elementen einläßt, weigert er sich, auch nur hinzusehen. Und wenn sein ältester Freund seinen Platz räumt, läßt er unpassenden Gefühlen keinen freien Lauf. Er hat keine unpassenden

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