Was am Ende bleibt
verheiratet.»
«Verdammt! Warum hast du nicht wieder geheiratet!»
«Ich hatte keine Lust», sagte sie lächelnd.
«Aha, endlich die Wahrheit!» rief er. «Hinter all dieser rasenden Energie, die ich für so bewundernswert hielt, steckt nichts als ungeheuerliche Faulheit. Man braucht Energie, um mit jemand anderem zu leben.»
«So zanken wir uns immer», sagte Claire zu Sophie. «Ignoriere es einfach, wenn du kannst. Beim gemeinsamen Kochen kommen wir gut miteinander aus.» Sie lächelte und kehrte in die Küche zurück.
«Das ist alles, was übriggeblieben ist», sagte Leon mit plötzlich schwacher Stimme. «Es ist von der Zivilisation übriggeblieben. Man nimmt den Rohstoff und wandelt ihn um. Das
ist
Zivilisation. Körperliche Liebe ist durch und durch rohes Fleisch. Deshalb sind jetzt alle so sehr damit beschäftigt. Mir hat ein Kollege, zehn Jahre älter als ich – als ob
jedermann
zehn Jahre älter sein könnte als ich! –, gesagt, daß die Rettung komme, wenn man die Schamgegend von Fremden anstarre, und die Freiheit erlange man, wenn man durch den Gebrauch einer Chemikaliejene Art ekstatischen Wahnsinns selbst herbeiführte, in dem ich fast meine ganze Jugend zugebracht habe, einen Zustand, den ich einzig der damaligen Stärke meines Körpers zuschreibe und der Überzeugung, die ich damals hatte, nämlich, daß ich noch den Sozialismus in den Vereinigten Staaten erleben würde. Jetzt, da meine Knochen schwach sind, ist mein Gehirn stärker. Ich erwarte … nichts. Aber ich kann die groteske, verlogene, frömmlerische Art meiner eigenen, aus der Bahn geworfenen Altersgenossen nicht
ertragen
. Ein Mann, ein Star im Literaturbetrieb» – und hier brach er ab, lachte einmal auf, unterdrückte sein Lachen und schüttelte den Kopf –, «ja, ja, ein Star, sagte mir, daß er nur bedaure, daß man die Pille nicht schon in seiner Jugend erfunden hat. Alle diese Frauen, die er hätte haben können! In diesem Zeitalter, in dem alle nur von Sex reden, ist das vielleicht die ganze Offenbarung, auf die mein Leben ausgerichtet war? Ich würde es in jedem Fall vorziehen, das Organ eines Pferdes zu betrachten. Es ist schöner, größer und komischer als irgend etwas, was ein Mitmensch vorzuzeigen hat. Es ist das Zeitalter von Babyscheiße, Liebling. Mach dir nichts vor. Meine Privatsphäre ist verletzt worden – was ich bewundert und worüber ich mein ganzes Leben nachgedacht habe, ist herabgesetzt worden. Arme Körper … armes, übelriechendes, fettes Fleisch. Vielleicht geht es bergab mit uns, mit uns allen.» Er streckte die Hand aus und drückte ihr die Schulter. «Verstehen Sie mich?» fragte er.
«Ein wenig», sagte sie und betrachtete sein erschöpftes Gesicht und bemitleidete ihn für seine Schroffheit, die vielleicht nur eine alte Gewohnheit war, sich auszudrücken. Verstehen Sie mein Leiden? hatte er sie in Wirklichkeit gefragt. Sie beugte sich nur ein wenig zu ihm. Er tätschelte ihr die Schulter mit einer Art von Zärtlichkeit– vielleicht
war
es Zärtlichkeit, unbeholfen geworden infolge mangelnder Anwendung.
«Kommt und eßt meine wunderbare Suppe!» sagte Claire. Leon hielt Sophies Arm fest, und sie paßte ihre Schritte seinem zögernden Schlurfen an. Das Licht, das durch die Eßzimmerfenster fiel, war so trüb, daß es Gestalt zu haben schien. Auf dem nackten Tisch standen Suppenschalen mit Deckeln, die wie Artischocken geformt waren, und lagen große ausgebleichte Leinenservietten von blasser Apricotfarbe. Leon, der an der Spitze des Tisches stand, lächelte. Es war die Art unbewußten Lächelns, dachte Sophie, die in derselben Weise auf das Gesicht fällt wie ein Lichtstrahl.
Sie aßen die Suppe, und Leon fragte in einem Tonfall so freundlicher Erkundigung, daß Claire ihm einen argwöhnischen Blick zuwarf, wo sie den frischen Sauerampfer gefunden habe? Als sie fertig waren, brachte Claire pochierte Eier in zerlassener Butter und eine Flasche weißen Bordeaux herein. Nachdem eine Schale mit Obst in die Mitte des Tisches gestellt und der Espresso eingeschenkt worden war, schien Leon vor sich hin zu dösen.
«Er befindet sich im Stand der Unschuld», flüsterte Claire Sophie zu. Leon grinste schläfrig. Die Spuren von Überanstrengung rund um seine Augen waren vorübergehend verschwunden, und Sophie erkannte, wie er vor so vielen Jahren ausgesehen haben mochte, als er auf der Sixth Avenue Flugblätter verteilte. Sie griff nach einer Handvoll Trauben. Claire sah nach, was sie aus der Schüssel
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