Was am Ende bleibt
Abendessen gehen wir ins Krankenhaus.»
Er wandte sich rasch zu ihr. «Wir gehen
jetzt
», sagte er zornig, bange.
«Nein. Nachdem wir gegessen haben.»
«Dann ist es wohl schlimmer geworden?»
«Nicht schlimmer. Aber auch nicht besser. Heute morgen dachte ich, es wäre besser geworden.» Sie wirkte ruhig, resigniert, doch ihre Stimme war schwach und so zersplittert, als versuche sie nur, einen inneren Bruch zu verbergen. Er legte seine Hand auf ihren Arm. Sie entzog sich ihm.
«Es ist nur ein Biß», sagte sie.
«Du bist so besorgt.»
Sie aßen im Wohnzimmer von Tabletts. Otto hatte Angst, etwas vom Essen auf die Ghom-Brücke zu verschütten, und mußte sich zu weit vorbeugen, um seinen Teller zu erreichen. Das Zimmer wirkte etwas feindlich, als würde es ihnen seine Zweckentfremdung übelnehmen. Otto verspürte einen diffusen Zorn über die unumgängliche Macht der Gewohnheit. Warum zum Teufel konnte er nicht vom Boden essen, wenn er wollte? Doch er wußte, was ihn gereizt hatte, war der Verstoß gegen seine eigene Vorstellung dessen, was sich schickte.
«Es war eine dumme Idee», räumte er widerstrebend ein.
«Ich vermute …»
«Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe.»
Sie lachte kurz auf, zwei Noten, spitz wie Zinken.
«Was ist daran so komisch?»
«Nichts. Hast du Charlie gesehen?»
«Ich habe seine Spuren gesehen. Er hat eine Packung Kaffee auf dem Teppich in seinem Büro verschüttet, während er ein paar Bücher zusammenpackte.» Er sah sie durchdringend an, als versuche er, ihre Empfänglichkeit für das abzuschätzen, was er sagen würde; dann stellte er sein Tablett ab. «Ich frage mich, worüber du tatsächlich mit ihm gesprochen hast.» Der milde, grüblerische Tonfall, in dem er die Frage stellte, ließ ahnen, daß er keine Antwort erwartete.
«Er war betrunken und dumm und hat über sich geredet. Eigentlich hat er sich über alle beschwert. Über Ruth, seine Kinder –»
«Wie sind wir nur an so einen Ort gelangt», sagte er verzweifelt, und eine erstaunte Sekunde lang glaubte Sophie, er meinte das Wohnzimmer, und daß sein Impuls, dort zu essen, eine Verirrung war, gegen die er jetzt protestierte. Aber dann knallte er sein Tablett auf den Couchtisch, redete heftig weiter und ließ seinen rastlosen Blick über sie, den Boden, die Bücher schweifen. Seine Hände waren in seinem Schoß fest ineinander verschränkt.
«Wir haben uns geeinigt», sagte er. «Wir haben uns geeinigt, daß es am besten wäre, die Partnerschaft aufzulösen. Wir waren vernünftig, sogar Charlie … wir haben uns zusammengesetzt … darüber diskutiert, wie wir vorgehen würden. Am nächsten Tag, gleich am nächsten Morgen, trat seine Bitterkeit zutage, und es fing mit diesenBeschuldigungen gegen mich an. Es ist wie eine Vergeltung, als wollte er mich bestrafen. Es war nicht meine Idee gewesen, die Sache zu beenden. Charlie war derjenige, der so
radikal
war. Ich wußte, daß es Schwierigkeiten gab. Du
wußtest,
daß ich das wußte! Es gibt sie immer. Und ich weiß, daß irgend etwas in mir versagt, daß ich nicht mehr Gefühl für das aufbringe, was Charlie bekümmert. Aber ich denke darüber nach. Gerechtigkeit ist mir nicht egal … überhaupt nicht egal. Aber Charlie hat an mich hingemault. Er sagte, er könne an der Art, wie ich seine Mandanten anschaute, sagen, daß ich nur
Verachtung
für sie übrig hätte. Mein Gott! Dabei war es
Charlie,
den ich verachtete.»
«Warum?»
«Weil er es nicht ernst meint», sagte er leidenschaftlich. «Weil er von irgend etwas eingeholt, geschluckt werden möchte, damit er über nichts
nachzudenken
braucht. Und dieser unbewußte Verrat ist das, was er mir anzutun versucht!»
«Was macht er?» rief sie.
«Die Art, wie er die Mandanten über unseren Bruch informiert … die Art, wie er sich mir gegenüber vor den Angestellten verhält. Letzte Woche hat mich ein Mann angerufen, jemand, den ich seit Jahren vertrete. Ich hatte einige seiner Probleme Charlie übergeben, nichts Kompliziertes, aber Langweiliges aufgrund der Routine. Ich hatte zu der Zeit zuviel auf meinem eigenen Schreibtisch liegen. Charlie übernahm es, bereitwillig, wie ich dachte. Nun, der Mann sagte mir, Charlie habe ihm mitgeteilt – o ja, sehr vorsichtig –, daß ich meine Arbeitskraft in die finanzkräftigen Mandanten investieren würde, dorthin, wo die fetten Honorare winkten, und daß er vermute, ich hätte persönliche Schwierigkeiten, weil ich so viele Routinearbeiten in der Kanzlei
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