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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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Armeehemdes gebunden war, schleifte hinter ihm auf dem Boden.
    Raub und Mord erschienen in zwei kurzen Szenen vor ihr, an- und ausgeklickt wie auf eine Leinwand projizierte Bilder.
    « … will nur Ihr Telefon benutzen, Mann. Jeder hier in der Gegend glaubt, schwarze Männer sind
Killer
! Mein Gott! Sie haben mich ihre Treppen runtergeschoben. Ich habe dieses Telegramm bekommen, ich habe versucht, es den Leuten zu
erklären,
und mein Zimmergenosse und ich haben kein Telefon, daß meine Mutter einen Schlaganfall hatte. Sie lebt im Norden des Staates New York, und ich muß dort hinauf. Ich muß am Bahnhof anrufen, herausfinden, wann der Zug abfährt. Ich habe noch nie so unfreundliche Typen gesehen, wissen Sie. Mann, ich habeProbleme, und niemand will einem Mann mit Problemen helfen, wissen Sie? Ich wohne nur ein paar Blocks von hier, und ich kann nicht rechtzeitig an ein Telefon heran! Mrs. Villela hat heute abend ihre Bodega früh geschlossen, und sie läßt mich sonst immer ihr Telefon benutzen. Kennen Sie Mrs. Villela? Also, bitte –»
    «Ja, ja», sagte Otto. «Benutzen Sie das Telefon. Immer mit der Ruhe. Es ist hier drinnen.»
    Beide Männer verschwanden. Ungefähr eine Minute später hörte Sophie den Neger mit derselben hohen, fordernden, monotonen Panikstimme nach Zugabfahrtszeiten und nach dem Fahrpreis fragen. Nach einer kurzen Stille hörte sie Flüstern. Plötzlich erschien der Neger im Flur vor dem Wohnzimmer. Mit einer theatralischen Geste riß er sich sein Käppi herunter, lächelte sie ungebärdig an und nickte heftig.
    «Sie haben einen anständigen Mann hier, Ma’am. Einen anständigen Mann. Oh, ich danke Ihnen beiden dafür! Es gibt noch ein paar Leute auf der Welt, die nicht verrückt sind, und dafür danke ich Ihnen und Ihrem guten Mann hier.» Er entschwand wie ein Tänzer, der seinen Auftritt beendet. Otto blickte hastig zu ihr hinein und folgte dem Mann bis zur Tür. «Anständig!» hörte sie ihn nochmals rufen. «Ein anständiger Mann …»
    Otto wirkte aufgeregt, als er mit einem Stück braunem Papier in der Hand ins Wohnzimmer zurückkehrte.
    «Ich habe ihm elf Dollar gegeben», sagte er. «Das hätte ich nicht tun sollen. Er sagte, er brauche das Fahrgeld und sei gerade knapp bei Kasse. Er hat wirklich mit dem Grand Central telefoniert. Ich habe sogar die Stimme des Dispatchers vom Bahnhof gehört. Er hat gesagt, er würde es mir zurückgeben, sobald er zurück sei und sich wieder gefangen habe. Schau. Hier hat er seine Adresse aufgeschrieben.»
    Sie starrten beide auf das Stück Papier, das aus einer Gemüsetüte herausgerissen war. «Ich kann es nicht lesen», sagte Otto.
    «Hier steht Arthur Weinstein», sagte sie. «Aber den Straßennamen kann ich nicht lesen. Hat er gesagt, daß das
sein
Name ist?»
    «Der seines Zimmergenossen», sagte Otto. «Seinen eigenen wollte er nicht aufschreiben, vermute ich.»
    «Vielleicht hat er gedacht, er würde nicht zählen», sagte sie.
    «Das würde ich nicht sagen», sagte er süffisant. «Ich würde sagen, er ist außergewöhnlich pfiffig.»
    «Aber seine Geschichte könnte wahr sein.»
    «Glaube ich nicht.»
    «Aber es ist keine so absonderliche Geschichte, Otto. Sie ist alltäglich. Und was ist, wenn sie nicht wahr ist? Was sind schon elf Dollar?»
    «Du meinst,
sie
sind nicht verantwortlich zu machen?»
    «Das habe ich nicht gemeint. Ich habe gemeint, wenn du jemandem etwas gibst, dann gib es ihm.»
    «Er hätte es nicht besser machen können, wenn er ein Schießeisen in der Hand gehalten hätte.»
    «Er hätte es noch viel besser machen können. Ach, was regst du dich auf?»
    «Es war mir peinlich, für uns beide, für ihn und für mich. Aber es war eine gute Lügengeschichte …, weil sie so alltäglich war. Er hatte sogar einen Ort ausgewählt, nach dem er sich erkundigte.»
    «Was veranlaßt dich zu glauben, daß er gelogen hat?»
    «Vermutlich meine Vorurteile», sagte Otto.
    Sie ging nach oben, um ihre Geldbörse zu holen und die Schuhe zu wechseln. Jetzt hatte sie nichts anderes mehr im Sinn als das Krankenhaus.

10
    Am Informationsschalter des Krankenhauses sagte ihnen eine verstaubte alte Angestellte, sie sollten auf die Straße zurückgehen und zur Notaufnahme einen Block weiter gehen. Von hier aus gebe es keinen Zugang, sagte sie. Sie hatte die vorgetäuschte Hilflosigkeit einer Stewardess. Ihr Lächeln verbarg vor Sophie nicht, was sie dachte: Notfälle gehörten in der Hierarchie der Krankheiten zu einer niederen sozialen Stufe.

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