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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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vernachlässigte, daß ich denSekretärinnen erlaubte, verfahrenstechnische Angelegenheiten zu bearbeiten, an die ich sie in Wirklichkeit natürlich nie heranlassen würde, wie er sehr wohl weiß, und daß er meine, ich sei in diesem letzten Jahr sehr zerstreut gewesen – Charlie deutete sogar an, daß es sich um etwas Gesundheitliches handeln könnte –»
    «Du hättest schnurstracks zu Charlie gehen und ihn zur Rede stellen sollen!»
    «Du verstehst nicht.
Er
war so schwammig, und außerdem war der Mandant so nervös, daß ich erst später, als ich darüber nachdachte, merkte, daß mich an dem Gespräch etwas verblüfft hatte, irgend etwas, was Charlie im Schilde führte. Dieser Mandant will bei mir bleiben. Aber Charlie hat ihn verunsichert. Es ist sehr wirksam, die Leute zu verunsichern. Sie haben das Gefühl, daß etwas nicht stimmt, und wünschen eine Veränderung, selbst wenn es ihren Neigungen widerstrebt. Ich glaube, er hat das mit allen so gemacht, aber er ist dabei so vieldeutig gewesen, daß ich nicht weiß, wie ich ihn überführen könnte.»
    «Doch wenn er gesagt hat, daß du tatsächlich krank bist?»
    «Das hat er aber nicht getan. Er verpackt es in ein allgemeines Gespräch, nicht die geschäftliche Seite, sondern den sozialen Aspekt … verstehst du. So hat er zum Beispiel jemandem erzählt, er würde versuchen abzunehmen, und dann bemerkt, daß ich recht viel Gewicht verloren hätte, ohne eine Diät zu machen. Tatsächlich sei ich mager, sagte er, und er wünsche, er wäre es auch. In bezug auf Geld sprach er einfach über Steuern und sagte, er und ich wären besorgt über den Steuerberater, den wir jahrelang beschäftigten. Und wozu das Ganze? Nun, Charlie sagte, die Kanzlei habe in den beiden letzten Jahren einen etwas anderen Typ von Mandanten angenommen.Verstehst du? Vage Andeutungen, gerade genug, um die Leute zu verunsichern. Dieser arme Mann, der mich letzte Woche anrief, wußte nicht einmal, was Charlie ihm da eingeflößt hatte. Es kostete mich eine halbe Stunde, um alles aus ihm herauszukriegen, und unterdessen haben sich die verdammten Anrufe bei der Rezeption gestaut. Es war die Sache mit der Behauptung, daß ich mager sei – so willkürlich, aber so überzeugend. Da hat er es zu weit getrieben. Er ist scharfsinnig und bildet sich etwas darauf ein, aber plötzlich verdummt er und läßt sich von seiner eigenen Schlauheit überrollen.»
    «Du hättest zu ihm gehen und ihn zusammenschlagen sollen», sagte sie wütend. «Aber du läßt ihn so davonkommen!»
    «Das kann ich nicht tun», sagte er.
    «Warum kannst du das nicht!?»
    «Ich bin zu alt, um so zu tun, als würde das etwas ändern.»
    «Aber bist du nicht wütend? Wie kannst du nicht wütend sein?»
    «Nein», sagte er und seufzte. «Ich habe keine Wut. Aber ich kann so nicht leben … und alle verdächtigen.»
    «Du meinst mich.»
    «Ich möchte ihn aus der Kanzlei draußen haben. Er schert sich einen Dreck um unsere Freundschaft, unsere harte Arbeit, unsere gemeinsame Geschichte.»
    «Wolltest du sagen, daß du mich verdächtigst?»
    «Nein, nein … Ich habe mich bloß gefragt, worüber ihr beide euch unterhalten habt.»
    Sie sah ihn herausfordernd an. «Er hat gesagt, du seist kalt und würdest auf seine Mandanten herabsehen, seine ‹schwarzen Tagelöhner› nannte er sie. Er sagte, er würde dich gern haben und du würdest ihn wie einen Dienstboten behandeln. Ich habe dich nicht so verteidigt, wieich es hätte tun sollen. Ich weiß nicht, warum ich es nicht getan habe. Vielleicht weil ich ihn so lange kenne und die ganze Angelegenheit so merkwürdig privat war, wie ein Bruder, der sich über den anderen beklagt.»
    «War es das?» fragte er, die Augen starr auf sie gerichtet. Sie drehte den Kopf rasch um. In diesem Augenblick läutete es an der Tür. Für die Zeugen Jehovas war es schon zu spät am Tag. Sie standen beide auf, als die Glocke wieder klingelte, ein langes, forderndes Läuten. Wie ängstlich wir beide sind, dachte sie, wie Leute, die auf schlechte Nachrichten warten. «Ich gehe schon», sagte er.
    Die Tür öffnete sich einem Plapperschwall. Die Stimme eines Mannes hob und senkte sich in hysterischen Tönen. Otto kam wieder in Sicht, gefolgt von einem jungen Neger, der mit den Händen wedelte. Er hatte seinen Kopf in einen extrem schiefen Winkel gelegt, und es war ein Wunder, daß ihm das Leopardenfellkäppi, das er trug, nicht herunterfiel. Ein leuchtend roter Schal, der durch die Schulterschlaufe seines

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