Was am Ende bleibt
flatterten in einem Schwall von Heißluft, die aus dem Schlitz einer von der Decke herabhängenden Metallkiste kam. Das Licht aus den in die Decke eingelassenen Scheinwerfern war so unangenehm und blendend wie der Atem von Kranken.
In diesem Raum fand eine unterschwellige Verwechslung von Sinneswahrnehmungen statt. Geruch wurde Farbe, Farbe wurde Geruch. Stumme starrten Stumme so konzentriert an, als würden sie mit ihren Augen hören, und das Gehör wurde unnatürlich scharf, wartete aber doch nur auf die vertrauten Silben von Familiennamen. Der Geschmackssinn erstarb, Münder öffneten sich in der negativen Schläfrigkeit des Wartens.
Zwei Kinder lagen schlafend auf den Sitzen. Ihr Vater, den Kopf zurückgelehnt, den Mund leicht geöffnet, stöhnte regelmäßig. Seine Frau kauerte neben ihm, ein Tuch um den kleinen Kopf gebunden, ihre Beine, bedeckt mit schwarzen Haaren, berührten nicht ganz den Boden. Sie war klein und dunkel und verwachsen und wirkte so beklommen, daß sie die einzige Person in dem Raum zu sein schien, die in ihm Zuflucht genommen hatte – als wäre sie von einem noch bestürzenderen Ort gekommen. Neben ihr saßen dicht aneinander gedrängt drei Männer, von denen jeder einen schwarzen Hut mit schmaler Krempe aufhatte. Der mittlere trug einen Arm in einer primitiven Schlinge und hielt seinen Blick auf die Wanduhr gerichtet, beobachtete starr den Sekundenzeiger, während dieser eine rasche Runde nach der anderen drehte. Den dreien gegenüber saß eine ältere, gut gekleidete Frau mit einem dick bandagierten Bein. Sie spielte geistesabwesend mit dem gebogenen Griff eines schwarzen Stocks und stieß ihn einmal gegen einen derStandaschenbecher. Der stöhnende Mann schob plötzlich den Kopf vor, umklammerte seinen Bauch und sah sie finster an. Die alte Frau zog ihren Mund wie eine Girlande zusammen und klopfte wieder – ganz leicht, aber diesmal absichtlich – gegen den Aschenbecher.
«Komm, wir gehen», flüsterte Sophie eindringlich. «Ich gehe am Dienstag zu Noel. Jetzt ist es sowieso schon egal. Wir brauchen hier nicht herumzusitzen.» Otto packte ihren Unterarm und drückte ihn heftig. «Reiß dich zusammen!» forderte er durch zusammengebissene Zähne. «Reiß dich zusammen!» wiederholte er. «Alle anderen tun es auch.»
Eine oder vielleicht zwei Stunden später wurden die Kinder von ihrer Mutter aufgeweckt, als diese versuchte, ihren Mann in den Behandlungsraum zu begleiten. Ihr Mann, der eine Minute lang seinen Bauch losließ, schob sie auf die Bank zurück. Das ältere Kind, ein Mädchen, kicherte und schlug ihrem Bruder in den Nacken. Er begann laut zu heulen, und die Frau hielt sich die Backe, als habe sie Zahnschmerzen. Dann stand sie wieder auf. Der Mann sprach schnell auf Spanisch auf sie ein, während die Krankenschwester, die gekommen war, um ihn abzuholen, mit enervierender Geduld zusah. Nur Sophie sah auf das weinende Kind, den Mann, der jetzt zu schreien anfing, die störrische Gestalt der kleinen Frau. Die übrigen Versehrten wandten ihre Augen von der Szene ab; ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich weiterhin auf den Sekundenzeiger der Uhr, den schwarzen Stock, die Zeitschriftenseiten, die von der Heißluft aus dem Schlitz umgeblättert wurden.
Schließlich sank die Frau auf die Bank zurück. Der Junge legte seinen Kopf in ihren Schoß und wischte sich die Nase an ihrem Rock ab. Bald darauf kam der Mann zurück, winkte mit einem Stück Papier und hatte einentyrannischen Ausdruck von Fröhlichkeit auf dem Gesicht. Die Frau mit dem Stock wurde aufgerufen und hinkte schließlich auf ihrem Weg hinaus wieder durch das Wartezimmer, mit einer neuen Bandage um ihr Bein. Die drei Männer blieben sitzen, schweigend und ausdruckslos, und sahen aus wie Statisten auf einem Set, die man engagiert und dann vergessen hatte.
«Was würde passieren, wenn jemand verblutete?» flüsterte Sophie. Otto antwortete nicht. Er war eingeschlafen, das Kinn in den Kragen gesunken.
«Mrs. Bentwood!» rief die Schwester von der Tür aus. Otto sprang auf die Füße. Vielleicht hatte er doch nicht geschlafen, dachte Sophie, sondern nur so getan, weil er sie nicht ertragen konnte, kein weiteres Wort von ihr ertragen konnte. «Du brauchst nicht mitzukommen», murmelte sie. «Los!» sagte er und packte ihren Arm.
Der Behandlungssaal war durch weiße Vorhänge, die auf Schienen hin- und herliefen, in Kojen unterteilt. In der Mitte des Raumes stand eine große U-förmige Theke, vollgepackt mit
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