Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
hab ich mir fast gedacht. Steht ja schließlich im Titel.«
    »Das Thema des Gedichtes ist die Fähigkeit einer Person, den Dingen eine Ordnung zu geben. In diesem Falle ist es eine Sängerin, die das Meer auf eine gewisse Weise interpretiert... Nein...« Sie hielt die Hand hoch, als wolle sie einen Einwand abwehren, den Sam bestimmt nicht hatte machen wollen - noch nicht. »Nein, es ›beherrscht‹.«
    »Tina Turner zum Beispiel.«
    Sie weigerte sich, weiter mit ihm zu reden.
    Diplomatisch wechselte er das Thema.
    »Dieser Kater klatscht gleich bäuchlings ins Wasser.«
    »Was?« schrie sie.
    »Um Himmels willen, du mußt doch nicht gleich so brüllen. Ich hab nur gesagt, der Kater -«
    Sie schaute nach der schwarzen Katze. Die hing schon halb über dem Rand des Docks, als habe sie da unten an der Unterseite der gesplitterten Holzplanke etwas Wichtiges zu erledigen. »Ist schon gut.« Aber für sie war es nicht gut, daß er ihre Aufmerksamkeit jetzt wieder auf die Katze gelenkt hatte; aber wenigstens wandte sie ihr nicht das schlimme Auge zu. »Weißt du, ob die Katze irgend jemandem gehört?« Sie wußte, daß ihr Ton vorwurfsvoll klang, als wolle sie ihm sagen, daß er schließlich Polizist war und über die Viecher im Dorf Bescheid wissen sollte.
    »Nein. Das ist ein Streuner. Aber wild ist er nicht.«
    Maud fingerte die Olive aus dem Glas und lutschte daran. »Warum gibt’s hier eigentlich keinen Tierarzt. Der Kater ist wirklich krank.«
    »Na ja, es gibt einen in Hebrides. Hast du vor, mit ihm zum Tierarzt zu gehen?«
    »Der Tumor wird immer größer. Aber wie sollte ich denn? Ich hab kein Auto.«
    »Du hast doch den Mercedes.«
    »Er fährt nicht, das weißt du doch.« Sie wußte, daß der schwarze Mercedes Sam faszinierte. Wo hatte Maud nur einen alten Mercedes aufgetrieben?
    »Es könnte am Getriebe liegen, am Nehmerzylinder.«
    Nehmerzylinder. Worüber redete er da überhaupt? Maud fragte sich, ob vielleicht der Nehmerzylinder in ihrem Hirn abgenutzt war. Das Glas schwitzte in ihrer Hand, und sie stellte es wieder auf das Faß, schloß die Augen und lauschte dem Wasser, das gegen die Pfähle schwappte.
    Sam redete weiter, von jemandem draußen auf der Route 12, einem Automechaniker, der Paul hieß. Ein Genie in Sachen Getriebe. »Und blind wie ein Maulwurf«, sagte Sam mit einem leichten, nachdenklichen Kopfschütteln.
    Maud wandte den Blick von den Tänzern ab, die sich wie Blumen aneinander zu lehnen schienen. Sie wußte, daß es blinde Musiker, nicht aber, daß es blinde Automechaniker gab.
    »Er hat’s im Gefühl. Das hat man in den Fingerspitzen, stell dir das mal vor.« Sam fuhr sich mit dem Daumen über die Fingerkuppen, hin und her, mit geschlossenen Augen, als spüre er einen feinen Mechanismus. »Weißt du, wenn du keine Verwendung für den Wagen hast, gib ihn doch Chad. Es ist sein letztes Jahr; bis zum Sommer könnte Paul den Wagen -« Er hielt inne.
    »Letztes Jahr.« Es gab ein stilles Einvernehmen zwischen ihnen, daß Chads letztes Collegejahr ein Tabuthema war.
    Sam drückte seine Coors-Dose möglichst laut zusammen und redete plötzlich so schnell über Autos im allgemeinen, daß man ihn für den Auktionator bei der jährlichen Polizeiversteigerung hätte halten können. Womit er zu übertönen versuchte, was noch von seinem letzten Satz in der Luft vibrierte wie bei einer angezupften Geigensaite. Chad war ein Lieblingsthema, ein bevorzugter Gesprächsgegenstand zwischen den beiden, und seine Universitätsausbildung ebenso; doch man mußte davon sprechen, als sei sie endlos, ein Faden, der in alles andere hinein- und hinausgewoben wurde, es zusammenhielt, aber nie abgeschnitten wurde. Schlimm genug, daß er fort war; aber daß seine Abwesenheit mehr als eine bloße Laune Chads, Mauds oder gar des Schicksals war, durfte nicht zur Sprache kommen. Daß es in der Tat so etwas wie ein letztes Semester geben könnte, durfte nicht ausgesprochen werden. Und schon gar nicht durfte von einem Geschenk die Rede sein, das Chads endgültigen Abschied verewigte.
    »Ich hab einen hübschen kleinen Datsun gesehen, den ich vielleicht billig kriegen könnte.«
    »Ich will nicht noch ein Auto. Was soll ich denn mit einem Auto?«
    Sam nahm einen Schluck Bier und zog an seiner Zigarette; er wirkte nachdenklich. »Du kämst mal raus. Könntest mal wegfahren.«
    »Meine Güte!« Sie haßte es, wenn man über sie redete, als sei sie Invalidin, wie Ada Chowder, die im Altersheim von Hebrides wohnte und nur jeden

Weitere Kostenlose Bücher