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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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dritten Sonntag rausdurfte, wenn sie ihren Sohn und ihre Schwiegertochter besuchte. Es paßte nicht zu Sam, daß er so was Blödes sagte. »Nimm du ihn doch«, sagte sie rachsüchtig.
    »Was? Den Datsun? Ich hab -«
    »Nein, verdammt noch mal, den Kater. Und fahr ihn nach Hebrides.«
    Sams Kehle entfuhr ein leises Gurgeln, so als hätte er an der Verschrobenheit dieses Gedankens ein wenig zu würgen. »Als ob ich nicht schon genug um die Ohren hätte!« Er lachte mißbilligend. »Und Sims fänd es bestimmt auch sehr erheiternd! Ich mit dem Wagen unterwegs, um eine Katze nach Hebrides zu fahren!«
    Bürgermeister Sims, der den größten Teil seiner Zeit in der Half Moon Bar verbrachte, kümmerte das einen feuchten Kehricht, doch sie wußte, daß Sam in der Defensive war und nach der Pause, in der er noch einige Schlucke nahm, mindestens vier weitere Gründe Vorbringen würde, warum er die Katze nicht fahren konnte.
    »Da hätte Donny auch mal was zu lachen, soviel ist sicher.« Sam drückte seine leere Bierdose platt und steckte sie in den Korb.
    »Na und? Er ist doch nur Hilfssheriff. Du bist der Luut.«
    Während Sam die Eiskristalle von seiner nächsten Dose schüttelte, blickte er auf und blinzelte sie an. »Der was?«
    »Der Luut. So kürzen die New Yorker Bullen ›Lieutenant‹ ab. In Büchern zumindest.« Als sie Sams verblüfftes Gesicht sah, seufzte sie. »Ich meine, der Boß. Der ranghöchste Bulle in La Porte.«
    So empfand sie Abschiede nun einmal; sie konnte nicht anders. Ihr Kopf kribbelte; wieder spannte sich die Haut, und sie blickte mit versteinertem Gesicht in den Himmel, während Sam weiter über Autos redete, um das Schweigen zu überbrücken. Dort oben war der Nachthimmel, schwarz wie Teer, und das harte, ungebrochene Licht der Sterne. Es war ihr, als müsse sie das Gewicht des Himmels stützen, damit er nicht auf sie herabstürzte.
    Sie solle stolz sein, sagte Shirl immer wieder, wo doch Stolz gar nichts damit zu tun hatte, sondern ein Wort war, das im Lexikon der Ereignisse keinen Platz hatte, ein Wort, das man höchstens mit einem Norman-Rockwell-Gemälde in Verbindung bringen konnte. Er muß doch eines von einem Jungen mit Magisterurkunde und Mom und Dad gemalt haben, auf dem alle nur so strahlen.
    Die Sterne sahen aus, als habe man sie da oben angenagelt, und das Glas wurde warm in ihrer Hand. Sie hatte ähnliches empfunden, als Chad die High-School beendete. Das, fand sie, war schon schlimm genug gewesen, das Ende des Zuhausewohnens. Doch da waren die Ferien, und da war die Abhängigkeit. Sie hörte andere Frauen sagen, »Puh! Wurde auch Zeit, daß ich mich von all dem mal erholen konnte«, und fragte sich, zu welcher seltsamen Klasse von Müttern sie gehörte.
    Sams Stimme drang durch ihre Gedanken wie ein leises Aussäen ununterscheidbarer Wörter; die Terrasse am gegenüberliegenden Ufer war ein zartgrüner, verschwommener Fleck. Sie fühlte sich in ihrer Rolle als Mutter erniedrigt.
    »Der Junge macht dir alle Ehre«, hatte Shirl am Mittag gesagt, während sie in ihren Marmeladendoughnut biß und zwischendurch an der Zigarette zog, die sie in der gleichen Hand hielt; mit der anderen wischte sie die Kuchenvitrine ab - Shirls zwei Hände schienen unentwegt die Arbeit von vieren zu verrichten. Und gleichzeitig gelang es ihr, zum anderen Raumende hin zu nicken, wo Joey saß und mit einem Brotkanten braune Soße auftunkte. Womit sie natürlich zu verstehen geben wollte, daß sie »das kleine Miststück« am Hals hatte.
    »Und das liegt nicht nur an Chad«, fügte sie hinzu, wobei sie ihre klebrige Hand hob, um dem Nachdruck zu verleihen. »Du kannst auf dich selber stolz sein, denn du hast ihn so erzogen. Du hast ihn zu dem gemacht, was er ist, vergiß das nicht.«
    Daß dieses Modell einer Ursache-Wirkung-Mutter-Sohn-Beziehung auch auf Shirl und Joey anzuwenden wäre, darüber sah Shirl hinweg. Der Vater hatte hier den entscheidenden Einfluß gehabt - einen negativen Einfluß selbstverständlich -, und Shirl gefiel die Vorstellung, daß sie mit Maud das Schicksal teilte, daß ihre Exehemänner als Väter vollkommene Versager waren. »Dieses alte Miststück«, so erzählte sie Maud, sei eines schönen Tages im Mai verschwunden, und nie wieder habe man was von ihm gehört. Die Worte »eines schönen Tages im Mai« sprach sie immer aus, als entstammten sie einem altmodischen Lied. »Ist auf und davon, das alte Miststück. Läßt mich mit Hypothek und Kind sitzen. Nicht einen Cent hat er mir

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