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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Messer zu fassen bekommen, hätte sie nur gewartet, bis er drauflospflügte, hätte sie gewartet, bis er kam, oder so getan, als käme sie auch, immer und immer wieder...
    So dachte er später darüber, nachdem er gespürt hatte, wie sie nach dem Messer griff, nachdem er es erhoben, gegen sie gerichtet und ihr die Kehle durchgeschnitten hatte.
    O Erlösung!

 
ZWEITER TEIL
Sam
     

1
    E r war irgendwo da draußen.
    Er war da draußen, genau wie die schwarzen Felsplatten, die Swain’s Point bezeichneten, im Dunkeln verwurzelt wie die mächtigen Kiefern um die mit Brettern vernagelte Fischerhütte am Ende der Landspitze.
    Als Sam die Straße voller Schlaglöcher entlangfuhr, die um den See herumführte, und durch das abschirmende Gebüsch und zwischen Eichen und Kiefern hindurch nach den Häusern schaute, spürte er seine Gegenwart.
    Sam war sich fast hundertprozentig sicher, daß es kein Landstreicher, kein durchreisender Fremder gewesen war, der Eunice Hayden gefesselt und erstochen hatte, wie es damals und auch heute, vier Jahre nach ihrer Ermordung, alle glaubten - wahrscheinlich weil die Vorstellung, daß es jemand gewesen sein könnte, den sie kannten, so furchtbar war.
    Das Problem war, daß Eunice Hayden am Ende ihres kurzen Lebens nicht gerade als Beispiel für vorbildliches Benehmen gelten konnte. Keiner verstand es: wie sich ein Kind von Molly und Wade Hayden so entwickeln konnte, wo Eunice doch während ihrer ganzen Kindheit kreuzbrav und so steif und verklemmt wie ein schwarzbehaubtes Mädchen auf einem mittelalterlichen Ölschinken gewesen war. Wade Hayden war seit zwanzig Jahren Postmeister, und seine Frau Molly wurde immer als erste gerufen, wenn es darum ging, für einen guten Zweck zu sammeln: für die Kirche oder die Bibliothek oder die Schule. Bei Molly konnte man sich darauf verlassen, daß sie das Geld auftrieb, daß sie die Leute mit ihren harten Augen anstarren und ihnen das Gefühl geben würde, für die rissigen Einbände der Bücher und die fehlenden Kirchenbänke persönlich verantwortlich zu sein. Und Eunices Vater war, wie es immer hieß, die Ehrlichkeit in Person. Sam hatte sich immer gefragt, was die Leute zu solchen Behauptungen veranlaßte. Worin sollte sich schon die Un ehrlichkeit eines Postmeisters zeigen? Vielleicht darin, daß er einem beim Briefmarkenkauf falsch rausgab?
    Während er langsam dahinfuhr und ab und zu das unruhige blaue Licht eines Fernsehers registrierte, versuchte er, diese kleinlichen Gedanken zu verdrängen. Das Mädchen war tot. Und seine Mutter Molly war ebenfalls tot; sechs Monate später war sie, wie man annahm, am Schock gestorben. Sam wußte, daß Molly, die immer gewirkt hatte, als sei sie unverwüstlich wie ein Waschbrett, leidend gewesen war. Der kaltblütige Mord an ihrer Tochter hatte ihren Tod sicher beschleunigt - davon war er überzeugt.
    Also hatte Wade Hayden den gleichen Pfad zum gleichen Friedhof und zum gleichen Baum, unter dem auch seine Tochter begraben war, noch einmal gehen müssen, vielleicht trat er sogar in die gleichen Fußstapfen, seine eigenen, denn der Staub hatte kaum Zeit gefunden, sich darin abzulagern.
    Natürlich waren die Eltern zum Verhör gekommen. Die Familie mußte man grundsätzlich befragen. Wade und Molly erzählten, daß sie in Hebrides gewesen seien; Molly hatte eingekauft, während Wade einen Freund im Postamt von Hebrides vertrat, das, wie er oft erzählte, kaum als Postamt zu bezeichnen war, da es nur aus einem Mann und einem Zimmer bestand und kaum genug Umsatz machte, um den einen Mann zu ernähren. Wade sagte das immer mit offensichtlichem Stolz auf seine eigene Position als Postmeister von La Porte: obwohl La Porte kleiner war als Hebrides, gab es doch genug Ferienbetrieb, um zwei Angestellten ihr Auskommen zu sichern. Daher hatte Wade einen Assistenten. In Hebrides sprang er immer gerne ein, wenn der Postler (wie Wade ihn nannte) eine Aushilfe brauchte. Da war er also gewesen, während seine Frau ein paar Einkäufe erledigte, und sie hatten den ganzen Nachmittag dort zugebracht, oder zumindest jenen Zeitraum von drei Stunden, in dem ihre Tochter ermordet wurde.
    Sie waren also zum Verhör gekommen; und es fiel Sam schwer, die trauernden Eltern so hart ranzunehmen wie man es vielleicht bei Nichtverwandten tat, wie er etwa Bubby Dubois oder Dodge Haines in die Mangel nahm.
    Dodge hatte sie gefunden, und das rieb er jedem unter die Nase, wobei er die Tatsache, daß er recht oft verhört wurde, herunterspielte.

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