Was am See geschah
Die Haydens besaßen ein kleines Stück Land eine halbe Meile vom Seeufer entfernt, ein paar Hektar mit Haus, Scheune und Hühnerstall. Molly verkaufte Eier von freilaufenden Hühnern, und eine ganze Reihe von Männern, bei denen man ein so großes Interesse an Eiern kaum vermutet hätte, pflegten hinauszufahren, um bei ihr einzukaufen. Dodge Haines war einer davon. Auch Bub Dubois’ Jungens hatte man aus der Scheune kommen sehen. Sogar der Bürgermeister fing an, Reden über Batterie-Eier zu halten, und startete eine private Kampagne zugunsten der mehrfach prämierten Güteklasse-A-Eier der Haydens. Das war einige Zeit, bevor ein paar Leuten - der Frau des Bürgermeisters als erster - auffiel, daß man es Eunice überlassen hatte, sich um den Eierverkauf zu kümmern, und daß die Transaktionen in der Scheune ein wenig länger dauerten, als unbedingt nötig war.
Bubby Dubois gefiel das Gerücht überhaupt nicht, daß seine Söhne Darryl und Rick sie gleichzeitig von vorn und hinten bedienten.
Dodge Haines fand Eunice im Hühnerstall, dressiert wie ein Brathühnchen, und das Blut aus ihrer aufgeschlitzten Kehle und Brust war bis an die unvorstellbarsten Stellen gespritzt - an den hölzernen Dachbalken, in die Futterkrippe -, so als wolle es nach Vergeltung schreien. Um sie herum lagen überall zerdrückte Eier, direkt neben ihr eine Henne mit umgedrehtem Hals, und der Gestank war so bestialisch, daß er es nicht mal bis vors Hühnerhaus schaffte, um sich zu übergeben.
Ein Gewaltverbrechen. So bezeichnete er es gerne. Es hatte keine sexuelle Gewalt gegeben, keine eigentliche Vergewaltigung. Obwohl das nach Aussage des Arztes, der mit der Kreispolizei am Tatort erschien, nicht eindeutig festzustellen war, so wie After und Vagina zugerichtet waren. Es war, als wäre jemand in der Absicht, sie zu Tode zu vögeln, über Eunice hergefallen und hätte, als ihm das nicht gelang, ein Messer benutzt.
Nur Maud Chadwick hatte ausgesprochen, was auch Sams Gefühl hinsichtlich Eunice Hayden war: Was blieb Eunice, umgeben von all dieser Anständigkeit, diesen Säulen der Gesellschaft von La Porte, schon anderes übrig, als ein bißchen auszuflippen? Sogar Shirls Joey hatte es da besser. Zumindest fühlte der sich frei genug, seiner Mom hin und wieder zu sagen, daß sie ihn am Arsch lecken konnte, schließlich fuhr Shirl ihn ja auch so an und hatte keinerlei Bedenken, wenn sie ihn damit vor Fremden in Verlegenheit brachte. Auch Molly Hayden hatte ihre Tochter in peinliche Situationen gebracht, wenn es auch auf den ersten Blick nicht danach aussah, weil es ja um »gute Werke« ging. Eunice wurde mit zwölf oder dreizehn Jahren herausgeputzt und aufgedonnert von Tür zu Tür geschickt, um für den Kirchenbasar zu sammeln. Daß eine Zwölfjährige sich lieber auf einer Kreissäge hätte festschnallen lassen, als vor ihren Freunden als Wohltäterin dazustehen, das kam Molly Hayden nie in den Sinn, wenn sie da in der Weihnachtszeit an der Ecke First und Tremont Street mit ihrer Sammelbüchse rasselte. Beide waren sie dabei in Lumpen und löchrige Umschlagtücher gehüllt, um den Reichen von La Porte, soweit vorhanden, vor Augen zu führen, daß manch einer keine Gans auf dem Tisch haben würde, sofern sie nicht ihr Geld in die Büchse warfen. Chad besuchte die High School von La Porte erst seit jenem Halbjahr (und rieb Maud in jenem Jahr täglich unter die Nase, daß er lieber stehend in einer eisernen Jungfrau schlafen würde, als in die Schule zu gehen); er sagte, Eunice sei das Gespött der Schule, schon immer und bis zum heutigen Tag.
Und die schlimmste »Demütigung« für Eunice (denn so nannte sie es) war es, wenn ihre Mutter sie zwang, mit ihr ins Rainbow Café, in Wheeler’s Restaurant oder sogar ins DoNut DeLite zu gehen, wo sie die Kellnerin oder den Geschäftsführer überreden mußte, ihnen im Austausch für die von Eunice gehäkelten Topflappen oder ungeschickt gesäumten Tischtücher eine Mahlzeit zu geben. Eunice hatte dabei immer reden müssen. Sogar Shirl, die gegen rührselige Geschichten gefeit war, wurde blutrot und sagte nur zu Eunice, sie solle schweigen und sich mit ihrer Mutter hinsetzen und bestellen, was sie haben wolle. »Blöde alte Kuh«, meinte Shirl dann immer, wenn sie weg waren. »Wo die Haydens doch wirklich alles andere als arm sind. Das ist vielleicht eine Mutter!« Und wenn Joey zufällig am Tresen war, richtete sie diese Bemerkung an ihn. Sei gefälligst mal dankbar!
Lasset die Kinder zu mir
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