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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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unwiderruflich verrückt.
    Aber Dr. Hooper nickte nur auf ihre nachdenkliche Weise. Ihre langen, eleganten Finger legten die drei Eindollarscheine neben die Rechnung (es war immer der gleiche Betrag), während sie sagte: »Ich habe nie einen Vater oder eine Mutter so etwas sagen hören.« Ihr eigenes Lächeln hatte mit den geschlossenen Lippen und den hochgezogenen Mundwinkeln ein wenig Ähnlichkeit mit Mauds.
    Ist das gut oder schlecht? wollte Maud fragen.
    Doch es hatte Maud überrascht, daß Dr. Hooper gerade an diesem Morgen vorbeigekommen war, offensichtlich unterwegs »in den hohen Norden«, denn morgen war Labor Day.
    »Tja, manchmal fährt er schon eher zur Schule zurück. Bevor er eigentlich muß.«
    Sofort fühlte Maud sich ihr noch stärker verbunden. Sie hielt sich an dem silbernen Milchshake-Behälter fest, fummelte nervös daran herum und erzählte Elizabeth Hooper, daß auch Chad früher gefahren sei, um einen Freund zu besuchen. Wahrscheinlich konnte sie die Irritation in ihrer Stimme - oder war es Traurigkeit, die beiden Dinge schienen sich zu überlappen - nicht verbergen, und sie säbelte Dr. Hoopers Zitronenbaisertorte ziemlich unbarmherzig herunter. Dann fiel ihr auf, daß Dr. Hoopers Sohn - wenn er schon wieder zur Schule gefahren war - offensichtlich nicht mit seiner Mutter mitfuhr.
    »Er verbringt den Sommer nicht bei mir.« Dr. Hoopers dunkle Augen ruhten auf dem Kuchenstück.
    Maud spürte, daß da etwas faul war, daher sagte sie nur »Oh« und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Ja, da stimmte wirklich etwas nicht, denn Dr. Hoopers Hand zitterte, als sie die Kaffeetasse hob. Dann sagte sie, nicht zu Maud, sondern ganz leise zu ihrem Kuchenstück: »Er lebt nicht bei mir; er lebt bei seinem Vater. Sein Vater hat das Sorgerecht.«
    Maud stellte die Torte wieder in die Vitrine, sah Elizabeth Hooper, die deutlich erregt war, an und dann wieder weg. Maud fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und wollte sagen, daß sie sich nicht vorstellen könne, wie jemand wie sie, die so viele Mühen auf sich nahm, um ihren Sohn zu sehen, nicht das Sorgerecht bekam. Mein Gott, man mußte sich doch bloß mal Shirl ansehen. Aber, na ja, das war wohl nicht fair; Shirl hatte mit Joey schließlich eine ganze Menge zu ertragen, und sie hatte ihn ganz allein aufgezogen...
    Und Dr. Hooper schien wieder Mauds Gedanken zu lesen, denn sie sagte: »Ich hätte das Sorgerecht haben können; ich wollte es nicht.« Sie hatte eine Briefmarke auf eine Karte geklebt und drückte jetzt ihre geballte Faust darauf. Dann sah sie Maud mit einem dünnen Lächeln an. »Ich bin Kinderpsychiaterin, und so ›klug‹ war ich damals.«
    Dr. Hooper hängte sich die Tasche über die Schulter und bezahlte ihre Rechnung an der Kasse.

2
    E r schaute in die Schublade voller Messer auf seinem Schoß und dachte an die Einsamkeit und Leere, und an jene, die sie verursacht hatten und immer noch verursachten. Und daß es doch nur gerecht war, wenn sie dafür bezahlten.
    Es war eine gewöhnliche Küchenschublade mit weißlackierter Front. Er hatte sie am wulstigen Aluminiumgriff herausgezogen, so daß er dasitzen und sie wie ein Baby oder ein Hündchen auf den Knien wiegen konnte. Er saß auf dem grünen Küchenstuhl mit der hölzernen Lehne, seine langen Hände ruhten auf den Seitenwänden der Schublade, er betrachtete die Messer in verschiedenen Größen und Formen, den zylindrischen Schleifstahl, mit dem er sie wetzte, damit sie immer schön scharf waren.
    Jetzt griff er nach dem Schlachtermesser, fuhr mit dem Daumen vorsichtig über die Schneide und mußte das Tröpfchen Blut ablecken, das schon bei dieser so sanften Berührung als winzige Perle erschien. Er erinnerte sich, daß er ein wenig gereizt gewesen war, als er routiniert dieses Messer wetzte. Er überprüfte das Schälmesser, das Hackbeil, das Kochmesser, die krumme Spitze des Geflügelmessers, die beiden Allzweckmesser. Um das gezackte Brotmesser kümmerte er sich nicht. Es hatte keinen Nutzen für ihn.
    Seine Seele war ein schwarzer Brunnen, in dem man eine Leiche versenken konnte. Und weil dieser Brunnen so tief und schwarz war, war das Geräusch, das von seinem Grunde herauftönte, nicht lauter als das Aufklatschen eines kleinen Steins. Ein Brunnen, ein Gewölbe, ein Keller, eine Höhle - ohne jedes Licht.
    Nicht einmal so viel Licht, wie er es als sehr kleiner Junge unter der geschlossenen Schlafzimmertür hatte sehen können, als seine Mutter fortgegangen war. Nur einen

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