Was am See geschah
Butter - eine Spur, die sich vom Kinn direkt nach unten zog, und all die Kleider flatterten lose und widerstanden der Spitze seines Messers nicht.
Als er in sie hineinstieß, schrie sie. Er spürte die Gerechtigkeit seines Tuns. Ihre Augen waren hohl, weiß, in ihren Kopf zurückgewendet, als wage sie es nicht, seinem blendenden Blick zu begegnen.
Er schwang das Messer in die Höhe und wartete darauf, daß sie diese Welt, in die er sie führte, erkannte.
Ihre Augen starrten zu ihm herauf.
Er lächelte und schnitt ihr die Kehle durch.
Heute abend mußte er diese Erinnerung richtig von sich abschütteln.
Wie konnte sie noch einen Funken Leben in sich gehabt haben? Wie konnte sie die Kraft gehabt haben, ein Zeichen zu hinterlassen, mit ihrem eigenen Blut ein Wort auf den Boden zu schreiben?
Und warum ?
Warum hatte sie den Namen dieses Schwulen hingeschrieben, der nie im Leben den Mumm gehabt hätte, das zu tun, was er getan hatte - warum schrieb sie diesen Namen mit ihrem eigenen Blut?
Seit jener Nacht, Ende Juni, hatte er sich darüber den Kopf zerbrochen. Das Grübeln machte ihn fast verrückt. Eigentlich konnte er darin nur das Wirken Gottes oder seiner lieben Engelmutter erblicken, die dafür sorgen wollten, daß die Sünder bestraft wurden. Und die Gerechten ungestraft blieben.
Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
Es bedeutete wohl, daß er auf dem richtigen Weg war. Daß es nicht zu früh war.
Und weiß Gott, auch die da hatte den Tod verdient.
Er wäre gern ein bißchen länger hier im Wald geblieben, um - die eine Hand am Messer, die andere am Hals - seinen Gedanken nachzuhängen.
Aber er mußte jetzt weiter, den Pfad hinab, zu der Stelle, wo er sehen konnte, ob sie auch heute nacht draußen war und welchen Weg sie wohl einschlagen würde.
Ob jemand den Tod verdiente. Ob irgend jemand ihn verdiente...
6
S einer Meinung nach trank sie. In La Porte hätte man vielleicht gesagt, es sei unvorstellbar, daß Willow Pauley eine heimliche Trinkerin war, aber Sam ließ sich dadurch nicht beirren. Er wäre nur froh gewesen, wenn die Leute in La Porte ab und zu ihre Läden geschlossen, ihre Vorhänge zugezogen und ihre Türen abgesperrt hätten.
Sam ging zum Streifenwagen zurück und beobachtete Willow Pauley, die in ihrer hellerleuchteten, weißen Küche neben dem Spülstein stand, ein Glas an die Lippen setzte, es senkte, es dann erneut hob - in immergleichem Rhythmus. Er sah das alles, als bewege sich ein dunkler Scherenschnitt vor einem weißen Hintergrund.
Willows Haus lag nicht so isoliert wie das von Bunny Caruso. Es war ein solides Fachwerkhaus, das mit der Vorderseite zur Main Street auf einem großen Grundstück stand. Doch es war abgeschieden wie kein anderes Haus an der Straße, da es ringsum von Bäumen, meist Eschen und Kiefern, umgeben war. Ihr Vater hatte vor seinem Tod die Baumschule außerhalb der Stadt betrieben. Er liebte die Bäume so sehr, daß er sogar seine beiden Töchter und einen Sohn nach Bäumen benannt hatte: Willow oder Weide, Ashley nach der Esche, und Oak , der Eichbaum. Mr. Pauley hatte so viele Eschen, Kiefern und Eichen um das Haus herum gepflanzt, daß der hintere Teil des Anwesens inzwischen zu einem dichten Wald geworden war.
Und diesen hinteren Teil bewachte Sam auch ständig. Die alte ungeteerte Straße, die ganz um den See herumführte und sich verzweigte wie ein Strom mit vielen Seitenarmen, die sich wiederum dahinschlängelten und manchmal zu bloßen Fahrspuren verengten. Einer davon endete hier. Man konnte sich dem Haus von hier aus nähern, und Sam war ausgestiegen und hatte, verdeckt vom schweren Laubwerk, eine Runde gedreht.
Jetzt saß er da, wie er vor Bunnys Haus gesessen hatte, und wünschte sich, Willow würde ihr Leben hinter geschlossenen Läden führen.
Es waren Stichproben, nicht mehr. Mehr konnte er nicht tun, tat er in seiner offiziellen Arbeitszeit auch nicht. Auch wenn seine Version über die Hintergründe der Morde ganz falsch war, hatte er nichts zu verlieren. Er gähnte, sah auf das beleuchtete Zifferblatt seiner Uhr und wieder zum Fenster hinüber. Ein Uhr vierzehn, mitten in der Nacht, und Willow war offensichtlich am Kochen. Am Kochen und am Trinken. Sie hob wieder das Glas, und der Einfallwinkel des Lichts zeigte, daß es ein Weinglas war, ein großes, kugelförmiges Glas.
Sam betrachtete die Speichen seines Steuerrads und dachte an Nancy Alonzo. Sie war dreißig, vielleicht fünfunddreißig gewesen, sah aber aus, als sei sie
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