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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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geborstenen Asphaltstück herunter und schritt rascher, wenn auch stetig aus. In seiner Vorstellung aber war die Bewegung eine andere. In seiner Vorstellung taumelte er auf sie zu. Er stolperte über die harte Erde der ausgefahrenen Straße und streckte die Arme nach ihr aus, als sei sie seine Bestimmung.
    Er fand nur in seinem Messer Rückhalt, das in seiner Vorstellung groß wie ein Baum geworden war.
    Eine weiße, flatternde Motte...

8
    D ie kreischenden Lacher, die wie Klingen die Luft durchschnitten, waren von einem anderen Boot gekommen, das außerhalb von Mauds Blickfeld lag. Schnell zog sie an der Schnur, um das Licht zu löschen, und schlug das Buch zu.
    Sie hatte die Lampe brennen lassen, als Sam davonschlenderte, hatte gehofft, er würde zurückschauen und bemerken, daß sie sich weigerte, ihm zu gehorchen, sich seinen Befehlen zu beugen oder im Angesicht der unbekannten, namenlosen Schrecken, die wie elfenbeinerne Grinseschädel die Nacht bevölkerten, schwach zu werden. Ihr standen reichlich bekannte und benamte Schrecken zu Gebote; sie konnte auf sein Urwaldgetrommel und Rascheln im Gebüsch gut verzichten.
    Laute Stimmen, Schreie und Gelächter drangen von einem Partyboot herüber, einem viereckigen Gebilde auf Pontons mit fransenbesetztem Leinwanddach, das, wie sie annahm, neue Gäste brachte. Sie kniff die Augen zusammen, um die amorphen Umrisse des Boots besser zu erkennen, das auf der Mitte des Sees abgebogen war und jetzt übers Wasser auf die Party zutuckerte.
    Waren diese Leute gemeinsam losgefahren, oder kamen sie von anderen Häusern, anderen Partys? Hatte das Boot, das Raouls und Evitas Haus ansteuerte, sie entlang der ganzen Küste aufgesammelt?
    Die Fracht dunkler Gestalten schien zu der beinahe leichenzugähnlichen Geschwindigkeit des Boots zu passen. Nur die glühenden Zigarettenenden, die winzigen, gespenstischen Flammen der kugelförmigen Kerzen verrieten, daß ihre Stimmen nicht die von Geistern waren.
    Maud hielt die Hand über die Augen und schaute blinzelnd zum gegenüberliegenden Dock. Halb zwei Uhr nachts, und noch immer strömten neue Gäste zur Party. Sie konnte leicht bis zur Dämmerung und bis in die Morgenstunden hinein dauern. Das Labor-Day-Wochenende bedeutete das Ende der Saison, so wie der Memorial Day ihren Anfang bezeichnete.
    Wohin gingen Raoul und Evita, wenn die Saison vorbei war? Über diese Frage sann Maud gerne nach, da es doch eine solche Unmenge möglicher Ziele gab. Brasilien war eins davon, denn bei Namen wie »Raoul« und »Evita«...
    Während sie versuchte, die zwei ganz unten im Glas eingeklemmten Oliven herauszupulen, fragte sie sich, über sich selbst verärgert, warum sie bloß immer wieder anläßlich von Namen, die Sam sich wahrscheinlich nur ausgedacht hatte, Vermutungen über die betreffenden Personen anstellte. Es war nicht einmal andeutungsweise von einem Namen die Rede gewesen, bis dieser Film mit dem Titel Der Kuß der Spinnenfrau und einem Schauspieler namens Raul Julia ins Kino kam. Er sah sehr gut aus; sie hatte den Film zweimal gesehen. Das zweite Mal hatte sie direkt vor Joey gesessen, der sich dann neben sie gesetzt und seine Megaportion Popcorn mit ihr geteilt hatte. Er aß es fäusteweise, stopfte es sich mit einer Hand rein und machte dabei Bemerkungen über den »fiesen Schwulen«, die andere Hauptfigur, bis sie ihm schließlich sagen mußte, er solle doch »biiiiiittee« still sein. So hatten sie im Empire-Kino gesessen und zugesehen, wie Raul sich glühend auf der Leinwand verzehrte, als hätte er einen ganzen Kamin voller Kohlen hinter den Augen.
    Erst nach dem Film war Sam mit diesem Namen dahergekommen. Sie wußte nicht, woher er die »Evita« hatte, wahrscheinlich wohl aus dem Musical. Sie glaubte nicht, daß jemand in dem Film Evita hieß, auch nicht die Spinnenfrau, doch das alles war sehr verdächtig. Maud nippte an ihrem Drink.
    Das Partyboot, dessen Bug sich jetzt im Dunst entfernte, hätte ein Geisterschiff sein können, die wehenden Nebelschwaden eine zerfetzte Flagge, eine Mannschaft aus Gerippen, die Überfahrt der Verdammten...
    Ach, du liebe Güte, sagte sie zu sich selber. Die Leute vom See waren alles andere als Verdammte. Sie kamen wahrscheinlich alle aus New York, Boston oder aus den Dörfern in den Poconos mit ihren typischen Steinmäuerchen und verwitterten Schindeln. Maud hielt sie für zu reich und zu clever, um sich ein Image zurechtzubasteln. Die Männer kauften nie Travel and, Leisure in Coopers Drugstore;

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