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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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›kommt drauf an‹? Wenn du alles haben kannst, was du willst, dann kommt es auf gar nichts an.«
    »Oh.« Nach einem wütenden Schweigen ihrerseits, in dem der Sänger Flugzeuge versäumte und Briefe zurückgeschickt bekam, sagte Sam: »Wo würde ich leben, wenn ich mir... tja, was auch immer wünschen könnte ?«
    »Was?... Wo immer du willst, natürlich, wenn du alles haben kannst...«
    Sam sank tiefer in den Sessel und rollte sich eine Coors-Dose über die Stirn. »Ich denke...«
    »Na los! Denk!«
    Sam hätte gern »auf Key West« gesagt. Aber sie würde in diese Antwort hineinlesen, daß er das Gedicht beziehungsweise ihr Bedürfnis, es zu verstehen, nicht ernst nahm. »In New York.«
    Maud hörte auf zu schaukeln und zu trinken und knallte sowohl den Stuhl als auch den Drink hin. »New York? Warum, zum Teufel, New York ? Du könntest überall leben« - sie streckte die Arme aus -, »und du entscheidest dich für New York ? Death Valley, die Mojave-Wüste, das könnte ich verstehen...« Sie lehnte sich wieder zurück, wandte das Gesicht dem schwarzen Himmel zu und sagte: »Aber doch nicht New York.« Ihr Mund umklammerte das letzte Wort wie ein kleiner stählerner Schraubstock.
    »Also kann ich offenbar doch nicht überall leben.«
    »Das hab ich nicht gesagt. Hab ich das vielleicht gesagt? Nimm doch endlich mal Vernunft an!« Sie machte eine Pause. »Warum New York?«
    »Weil ich da eine Nichte habe. Rosie.« Sam hatte keine Nichte namens Rosie. Er hatte sie aus dem Hut gezaubert, wie sie gerade die Fifth hinabspazierte, wahrscheinlich wegen der Melodie, die sich da drüben irgendeinem alten Wrack von Klavier entrang, und dem Chor besoffener Stimmen: »You are... my heart’s boo-kaaay.« Und plötzlich ergriff ihn eine ungeheure Sehnsucht nach diesem imaginären Mädchen, das vor einer Minute noch nicht einmal existiert hatte.
    Maud verschränkte streng die Arme vor der Brust. Hätte sie aufrecht dagestanden, dann hätte sie wie eines von diesen zähen Weibern in den alten Pionierfilmen ausgesehen. »Du hast mir nie von Rosie erzählt.«
    »Ich denk wohl nicht oft an sie.«
    »Deine oder Florences Seite?«
    »Ich glaub nicht, daß sie sich auf eine Seite geschlagen hat.« Sam sah auf die Uhr. Eins. Florence würde sich mit Sicherheit auf jede andere Seite schlagen als auf seine.
    »Weißt du was? Ich glaub, du willst mich nur ärgern.«
    Sam lächelte. »Vielleicht. Rosie ist die Tochter meines Bruders.« Jetzt dichtete er eine ganze Familie zusammen. Das kam vom Rumsitzen bei Maud, die nur während ihrer Arbeit den Boden der Tatsachen streifte. Es war ihm egal; alles, was sie zum Weiterreden brachte, war ihm recht.
    Rumms, machte der Stuhl erneut, als sie sich ganz zu ihm umdrehte und ihn anfunkelte. »Was für ein Bruder? Du hast nur eine Schwester. Hast du mir erzählt. Sagst du denn nie die Wahrheit?«
    Sam biß sich auf die Lippe. »Er ist mein Halbbruder. Mom war schon mal verheiratet, bevor sie meinen Vater heiratete. Er hat nicht mal den gleichen Namen.«
    Maud begann wieder zu schaukeln. »Halbbruder. Da kann man Rosie ja wohl kaum eine Verwandte nennen.«
    Es ärgerte ihn, wie sie die Nichte wegfegte, die eben erst zur Welt gekommen war, auf achtzehn oder zwanzig zuraste und gerade die Fifth Avenue hinunterspazierte und sich die Schaufenster anguckte. Er sah sie so deutlich vor sich, als sei er der Schaufensterdekorateur, der sie durch das sonnengesprenkelte Glas betrachtete. Sie hatte was von einer Filmblondine, sah aus, als sei sie aus Sonnenschein gemeißelt. Große blaue Seewasseraugen...
    »Aber du hast noch nicht gesagt, was du dir am meisten wünschst. Das heißt, in New York leben. Wenn du alles haben könntest. Einen Pullman zum Beispiel.«
    Nachdem sie Rosie zum bloßen Schatten einer Verwandten degradiert hatte, schien Maud nun ein bißchen zufriedener und klopfte im Takt der Musik mit den Fingern. Die Gäste waren wieder draußen auf der Terrasse. Wenn er die Augen zusammenkniff, konnte er eine winzige blaugekleidete Gestalt mit hellblondem Haar erkennen. »Einen Diener, der mir mein Auto parkt.«
    Sie ließ die Zigarette, die sie sich gerade an die Lippen führen wollte, wieder sinken. »Du sollst dir aussuchen, was du dir am meisten wünschst. Du bist gar nicht richtig dabei.«
    Sam gähnte und erhob sich langsam. »Doch. Einen Diener zum Parken. Wir sind in New York, vergiß das nicht.«
    Maud schleuderte die Zigarette in den See. »Guter Gott, du hättest den Trump Tower haben

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