Was am See geschah
sie rissen die Zeitschrift einfach vom Regal, standen da und lasen sie, bis Bobby Cooper zu ihnen hinmarschierte und auf das von Hand gekritzelte Schild hinwies. Da zuckten sie dann nur mit den Achseln, zahlten für die Times und schlenderten davon.
Die Tage, in denen man in einem »drolligen« Dörfchen »übersommerte«, das man in den Dolomiten »entdeckt« hatte, oder eine ganze Saison in Island - das hatten sie längst hinter sich. Dazu waren sie zu schlau, dachte sich Maud. Auf La Porte waren sie rein zufällig gestoßen, hatten gesehen, daß es dort einen riesigen See und eine Schneemaschine gab, und klopften sich vor Freude auf die Schenkel. Es war kein Ort, von dem man sagen würde, daß man dort »übersommerte«, sondern einer, wo man lediglich »hinfuhr«. Dollargehärtetes Selbstbewußtsein mit dem Unterfutter einiger Diamantminen war vermutlich die notwendige Voraussetzung, wenn man in La Porte übersommerte, das zu weit nördlich und zu weit im Landesinnern gelegen war, um auch nur ein bißchen im Trend zu liegen, geschweige denn, einen neuen Trend zu begründen. Maud leitete ihre Schlüsse aus recht schwammigen Prämissen ab, aber sie stritt sich noch immer mit Shirl, die diese Leute einfach für einen Haufen oberflächlicher Angeber hielt, die extrem reich waren, reich genug, daß sie sich ein drittes Mal nachschenken lassen konnten, ohne die zusätzlichen dreißig Cents zu zahlen.
»Also sind’s halt reiche Angeber, was soll’s?« sagte Shirl dann, wenn sie ein großes Blech Schokoladen-Fudge-Kuchen vom Regal hinter sich zog, auf das Gebäck hinunterstarrte und es dann wieder zurückstellte. Es war ihr ein Rätsel, warum dieser Kuchen nicht ging, nicht zur Tür rausmarschierte wie ihre Zitronenbaisertorten und ihre doppelt glasierten Doughnuts. Es war wieder so ein Rezept, das sie sich von Jen Graham »ausgeborgt« hatte, die für ihren Schokoladen-Fudge-Kuchen berühmt war; jeder, der Jens Kuchen probierte, wurde unwiderruflich süchtig danach. Jeder, der Shirls Kuchen probierte, tat es nie wieder. (»Ich versteh’s einfach nicht«, hatte Shirl gesagt. »Sogar ihre geheime Zutat ist drinnen.« Die »geheime Zutat« war eine Handvoll kalter Kaffeesatz, die Jen in das Rezept hineingeschrieben hatte, wie sich herausstellte. Gutgläubig hatte Shirl den Kaffeesatz untergerührt.) Und danach zog sie immer ein Tablett von ihren doppelt glasierten Doughnuts aus dem Glasschrank neben der Kasse und knallte es hinter sich ins verglaste Regal. Wenn die Leute vom See in ihrem weißen Outfit und den Designer-Sonnenbrillen die Sunday Times auf allen Tischen ausgebreitet und sich ihr Frühstück reingeschaufelt hatten, wenn sie anfingen, tütenweise Doughnuts einzukaufen, dann nahte Shirls großer Augenblick. Während noch ein ganzes Tablett nichtverkaufter Doughnuts verlockend hinter ihr stand, konnte sie ihnen dann erzählen, sie seien »ausverkauft«; sie konnte den Ellbogen auf die Kasse und die andere Hand in die Hüfte stützen und auf die unvermeidliche Kopfbewegung in Richtung des zurückgehaltenen Tabletts warten. »Die Doughnuts da sind für ’n guten Zweck, für die Armen.« »Die Armen von La Porte« war die einzige Sonntagsschlagzeile für Shirl, die sich den investigativen Journalismus auf ihre Fahnen geschrieben hatte und den zügellosen Mißbrauch der Gemeindemittel und die gewaltigen Haushaltsdefizite einschränkungslos den reichen Sommergästen in die Schuhe schob, denn sie waren ihrer vagen biblischen Formulierung gemäß jene, die gaben, um zu nehmen. Die Côte du Jours , nannte sie sie. Nein, auch den letzten Apfelkuchen könnten sie nicht haben.
Maud pflegte hinter der Theke zu stehen, tunkte die Gläser in siedendheißes Wasser, hörte zu und schüttelte den Kopf. La Porte hatte schon seine Armen; aber Shirl hätte in einer Gegenüberstellung keinen von ihnen erkannt, selbst wenn man ihn zwischen Lee Iacocca und Elizabeth Taylor gestellt hätte. (»Der kleine Zwerg? Hat sie also gestaunt - na und. Ich staun auch, du staunst, sogar Joey staunt.«)
Trotzdem gaben sie dicke Trinkgelder, und Shirl machte an Sonntagen ein gutes Geschäft. Sie fanden das Lokal »urig«, wahrscheinlich wegen der zerkratzten hölzernen Nischen, der Theke mit der Marmorplatte und der ungehobelten, kaugummikauenden und kettenrauchenden Besitzerin. Die Männer fanden es toll, daß sie ihr dieses Doughnut-Blech weder durch Bestechung noch durch Charme abluchsen konnten. Shirl erschien ihnen wohl als die letzte
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