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Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Titel: Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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aber sie wussten, dass sich jenseits der optischen Wahrnehmung und doch vor ihren Augen etwas Dramatisches abspielte. Die Gedanken der Lichtstecher stießen tief hinein in das Bewusstsein des wie erfroren wirkenden Go-Kapitäns, suchten in den Synapsen nach einem verborgenen, noch so kleinen Hinweis auf eine mögliche Rettung.
    Minuten vergingen. Minuten, die ihnen wie Stunden erschienen.
    Schließlich sagte der Lichtstecher: »Wir können in Ihr Zwischenhirn sehen, Kapitän. Am Rande Ihres Paläokortex befindet sich ein Sternenmuster, das dem unseres derzeitigen Standortes ähnelt.« Der Lichtstecher lachte nervös. »Alles, was wir wissen müssen, ist: Können Sie das Schiff mit Ihrem Gehirn nach Hause steuern?«
    Magno Taliano betrachtete den Fragenden mit tief tragischen Augen. Seine Stimme klang immer noch langsam in ihren Ohren, denn er wagte es nicht, sich aus der Halbtrance zu lösen, die dem gesamten Schiff seine Festigkeit verlieh: »Sie meinen, ob ich das Schiff allein mit meinem Gehirn segeln kann? Es würde mein Gehirn ausbrennen lassen, und das Schiff wäre trotzdem verloren …«
    »Wir sind alle verloren, verloren, verloren«, kreischte Dolores Oh. Auf ihrem Gesicht flackerte eine furchtbare Hoffnung, ein Hunger nach dem Untergang, eine gierige Sehnsucht nach der Katastrophe. Sie kreischte ihrem Mann zu: »Wach auf, Liebling, und lass uns gemeinsam sterben. Zumindest können wir so einander auf ewig gehören, für lange, endlose Äonen!«
    »Warum sterben?«, fragte der Lichtstecher sanft. »Sagen Sie es ihm, Dita.«
    »Warum sollten wir es nicht versuchen, Sir und Onkel?«
    Langsam wandte Magno Taliano den Kopf und blickte seine Nichte an. Wieder ertönte seine hohle Stimme: »Wenn ich das wage, bin ich ein Narr oder ein Kind oder ein toter Mann, aber um deinetwillen will ich es tun.«
    Dita hatte sich eingehend mit der Arbeit der Go-Kapitäne befasst und wusste sehr genau, dass beim Verlust des Paläokortex die Persönlichkeit intellektuell unversehrt blieb, aber emotional verändert wurde. Mit dem Verlust des ursprünglichsten Teil des Gehirns verschwanden auch die fundamentalen Steuermechanismen für Feindseligkeit, Hunger und Sexualität. Die wildesten Tiere und die genialsten Menschen waren dann auf eine Stufe gestellt – eine Stufe infantiler Freundlichkeit, auf der Lust und Verspieltheit und sanfter, doch unstillbarer Hunger bis in alle Ewigkeit der einzige Lebensinhalt blieben.
    Magno Taliano zögerte nicht. Langsam streckte er den Arm aus und drückte die Hand von Dolores Oh. »Wenn ich sterbe, dann wirst du am Ende die Gewissheit haben, dass ich dich liebe.«
    Wieder konnten die Frauen nichts sehen. Sie erkannten, dass man sie nur gerufen hatte, um Magno Taliano einen letzten Blick auf sein eigenes Leben werfen zu lassen.
    Ein schweigsam gewordener Lichtstecher hielt eine Strahl-Elektrode so, dass sie schräg in Kapitän Magno Talianos Paläokortex hineinstieß.
    Leben kam in den Planoformraum. Fremde Himmel umkreisten sie wie Milch, die in einer Schüssel geschlagen wurde.
    Dita bemerkte, dass ihre halbausgeprägte telepathische Fähigkeit auch ohne die Unterstützung einer Maschine funktionierte. Mit ihren Gedanken konnte sie die tote Wand der Deckplatten fühlen. Sie registrierte das Schlingern der Wu-Feinstein , während sie von Raum zu Raum sprang, so unsicher wie ein Mensch, der einen Fluss überquert, indem er von einem mit Eis überzogenen Stein zum anderen hüpft.
    Auf eine seltsame Art wusste Dita, dass der paläokortische Teil des Gehirns ihres Onkels endgültig ausbrannte, dass die Sternenmuster, die in den Deckplatten eingeätzt waren, in den unendlichen komplexen Mustern seiner eigenen Erinnerungen weiterlebten und dass er mit Hilfe seiner telepathischen Lichtstecher sein Gehirn Zelle für Zelle ausbrannte, um für sie einen Weg zu dem Bestimmungsort des Schiffes zu finden. Das war unwiderruflich seine letzte Reise.
    Dolores Oh betrachtete ihren Mann mit einer hungrigen Gier, die keiner Beschreibung gerecht werden konnte.
    Nach und nach nahm sein Gesicht einen entspannten und stumpfsinnigen Ausdruck an.
    Dita sah, dass das Zwischenhirn allmählich ausbrannte, während die Schiffsinstrumente mit Hilfe der Lichtstecher den fähigsten Intellekt ihrer Zeit nach einem letzten Weg in den sicheren Hafen absuchten.
    Plötzlich sank Dolores Oh auf die Knie, hielt schluchzend die Hand ihres Mannes.
    Ein Lichtstecher ergriff Ditas Arm. »Wir haben unser Ziel erreicht«, sagte

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