Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
du es schaffen. Wir haben schon alles abgeladen, was wir abladen können, und jetzt bin ich dran. Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich liebe dich, wie du mich liebst. Für mich ist es genauso schwer, dich zu verlassen. Ein ganzes Leben mit dir wäre mir noch zu wenig gewesen. Aber eines bist du mir schuldig: Bring das Schiff sicher nach Hause. Ich bitte dich, Dita, mach es mir nicht noch schwerer, als es sowieso schon ist.« Er zögerte. »Falls möglich, bleib immer auf der links-subformalen Wahrscheinlichkeit. Und wenn das nicht geht, musst du in der Rückzeit abbremsen.«
»Liebling …«
Wie gerne hätte er die richtigen, tröstenden Worte gefunden, doch sie blieben ihm in der Kehle stecken. Ihre gemeinsame Zeit war abgelaufen. Ihre Flitterwochen waren ein Spiel gewesen, ihr ureigenes Spiel, und jetzt war das Spiel aus. Jetzt war ihr gemeinsames Leben vorbei. Drei Erdentage! Aber die Instrumentalität dauerte fort, die Obersten und Lords warteten. Und wenn sie eine Million Menschen opfern müssten, die Koordinaten des Zeitknotens wären es tausendmal wert. Dita konnte es schaffen. Wenn das Schiff um sein Körpergewicht erleichtert wurde, konnte es selbst Dita schaffen.
Ihr Abschiedskuss war nicht der Kuss, an den sie sich später erinnern würde. Er hatte es eilig, er wollte die Sache zu Ende bringen, und je eher er sie allein ließ, desto besser standen Ditas Chancen. Sie sah ihn an, als erwartete sie, dass er noch ein bisschen blieb, noch ein bisschen mit ihr sprach. Irgendetwas in ihrem Blick weckte seinen Argwohn – würde sie versuchen, ihn umzustimmen?
Tasco aktivierte sein Helmmikrofon. »Ich liebe dich, Dita, aber ich muss jetzt rasch los. Bitte mach alles genau so, wie ich es dir erklärt habe. Und versuche nicht, mich aufzuhalten.«
Dita fing an zu schluchzen. »Du wirst sterben, Tasco, du wirst sterben …«
»Vielleicht.«
Sie streckte die Arme nach ihm aus. »Nein, mein Liebling, lass mich nicht allein. Nicht so schnell.«
Nun wollte sie ihn tatsächlich festhalten. Er stieß sie zurück auf den Pilotensitz. Noch nicht einmal das ließ sie ihn richtig machen, dachte er, sie ließ ihn nicht einmal in Ruhe für sie sterben. Selbst jetzt musste sie ihm eine Szene machen. Doch er unterdrückte seine Wut. »Liebling«, sagte er, »ich habe dir das doch schon alles erklärt. Außerdem überlebe ich ja vielleicht. Ich werde einen Planeten voller Nymphen ansteuern und dann hoffentlich noch gut und gerne tausend Jahre leben.«
Er wollte sie reizen, er wollte sie wütend oder eifersüchtig machen, zumindest irgendein anderes Gefühl in ihr wecken. Aber sie ging nicht auf seinen armseligen Witz ein, sondern schluchzte nur weiter vor sich hin.
Als ein Rauchfaden in der heißen Luft der Kabine aufstieg, blickten sie auf die Instrumentenkonsole: Der Wahrscheinlichkeitsselektor leuchtete. Tasco ließ sich nichts anmerken – er war froh, dass Dita offenbar nicht wusste, was das zu bedeuten hatte. Sie werden mich nicht finden. Selbst wenn ich überlebe, werden sie mich nicht finden, nie. Aber jetzt geh endlich! Geh!
Durch den Visor seines glänzenden Anzugs warf er ihr ein letztes Lächeln zu, mit seiner Metallklaue strich er ihr über den Arm. Dann wich er schnell zurück in die Notluke, ehe sie sich an ihm festklammern konnte, schlug die Tür zu, tastete nach dem Ausstoßhebel und drückte ihn herunter. Mit aller Kraft.
Ein Donnerschlag, eine Flutwelle. Seine Welt, seine Frau, seine Zeit, er selbst, alles ging dahin … und er schwebte frei im Anachron. Niemand, der sich zwischen den Wahrscheinlichkeiten verirrt hatte, war je zurückgekehrt. Aber sie hatten ihr Schicksal ertragen, sagte er sich, und so würde auch er das seine ertragen. Plötzlich hielt er inne – hatten auch sie eine Frau oder eine Geliebte zurückgelassen? Hatten sie dieselbe Tragödie durchmachen müssen? Sie beide, er und Dita, hätten nicht hierherkommen müssen. Sie hatten es aus Eitelkeit getan, aus Stolz, Eifersucht, Sturheit. Es war ihre eigene Entscheidung gewesen. Und nun war er im Anachron.
Tasco spürte, wie er von Wahrscheinlichkeit zu Wahrscheinlichkeit sprang, wie ein Kiesel auf einem geriffelten Plastikdach. Er konnte nicht einschätzen, ob er sich dem Formalen oder dem Aufgelösten näherte; möglicherweise befand er sich noch immer in der Linken Subformalen.
Auf einmal verstummte der Lärm. Er machte sich auf weitere Beben gefasst.
Es gab noch eines, ein einziges, sehr heftiges.
Die Anspannung verließ
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