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Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Titel: Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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langsam seinen Körper. Er spürte, wie die Wahrscheinlichkeiten um ihn herum Gestalt annahmen, und lauschte dem Rauschen des Selektors in seinem Helm, der ihn in eine Kombination aus Raum und Zeit kodierte, in der menschliches Leben existieren konnte. Bei seinen Übungssprüngen hatte er dieses Rauschen nie gehört, doch jetzt handelte es sich nicht mehr um Übungen: Zum ersten Mal befand er sich zwischen den Wahrscheinlichkeiten, zum ersten Mal schwebte er frei im Anachron.
    Als ihn ein Gefühl der Schwere und Zielgerichtetheit überkam, begriff er, dass er sich dem regulären Raum näherte, und hatte bald auch schon festen Boden unter den Füßen. Bewegungslos blieb er stehen und versuchte sich zu sammeln, während seine Umgebung langsam Gestalt annahm. Doch irgendetwas stimmte nicht. Das Grau das Weltraums um ihn herum ähnelte dem Grau der schnellen Rückzeit. Wie oft hatte er es durch das Kabinenfenster beobachtet, nachdem er eine Wahrscheinlichkeit ausgewählt und durchgespielt hatte, bis ihm die Selektoren einen möglichen Landeplatz angewiesen hatten … Doch jetzt saß er nicht in einem Schiff, hatte keinen Anschub mehr. Also wie war es dann möglich, dass er durch die Rückzeit reiste?
    Vielleicht …
    Vielleicht weil der Zeitknoten seinen Körper so kraftvoll von sich geschleudert hatte, dass er einen extremen Zeitschwung mitgenommen hatte. Doch selbst dann hätte sich seine Geschwindigkeit langsam verringern müssen, und er hatte nicht das Gefühl, dass das geschehen war. Nein, er befand sich noch immer in der Schnellzeit. 10.000 : 1, mindestens.
    Einen Moment lang dachte er an Dita, doch seine eigene Lage verdrängte alles andere. Schon schob sich das nächste Problem in den Vordergrund: Wie sah es mit seinem Zeitkonsum aus? Außerhalb des Anzugs floss die Zeit extrem schnell – und im Inneren? Wie lange würde der Nährstoffvorrat halten? Er konzentrierte sich auf seinen Körper, aber es war schwer, auch nur einen kleinen Blick auf das eigene Innenleben zu erhaschen. Hatte er Hunger oder nicht? Er fragte sich, ob die automatische Nährstoffzufuhr mit der rasch wechselnden Zeitgeschwindigkeit mithalten konnte, als ihm plötzlich eine Idee kam. Er rieb das Kinn gegen die Maske. War sein Bart gewachsen, seit er das Schiff verlassen hatte?
    Ja. Er hatte einen stattlichen Bart.
    Noch während er darüber nachsann, was das zu bedeuten hatte, hörte er ein Schnapp! und wurde ohnmächtig.
     
    Als er zu sich kam, fiel ihm als Erstes auf, dass er noch immer aufrecht stand. Ein Art Gerüst schien ihn auf den Beinen zu halten – aber wer hatte es errichtet, und wozu? Draußen herrschte dasselbe trübe Licht wie zuvor, seine physiologische Zeit hatte sich also noch nicht an die Außenzeit angeglichen. Heftige Ungeduld stieg in ihm auf. Es musste doch möglich sein, langsamer zu werden! Der Helm lastete so schwer auf ihm, dass er mit der Klaue an der Atemmaske riss, ohne an die damit verbundenen Gefahren zu denken.
    Endlich klappte sie herunter, und er sog süße, aber dicke, sehr dicke Luft ein. Jeder Atemzug war ein Kampf, und eigentlich lohnte sich die Anstrengung kaum.
    Die Schnellzeit verminderte sich immer noch nicht. Dabei war sein Körper nicht mehr versiegelt – er hätte eigentlich längst tot sein müssen. Als er an sich hinunterblickte, sah er seinen Bart wachsen, eine zittrige Bewegung wie im Zeitraffer. Gleichzeitig spürte er, wie sich seine sprießenden Fingernägel in die Handflächen gruben; normalerweise wären sie automatisch gekürzt worden, aber die Zeit war zu schnell für den Mechanismus. Also ballte er die Hände zu Fäusten und brach die Nägel selbst ab. Die Zehennägel waren offenbar schon an den Kappen der Stiefel zersplittert, und obwohl ihm die Füße wehtaten, war es immerhin noch ein erträglicher Schmerz. Ändern konnte er daran sowieso nichts.
    Aber er war müde, unglaublich müde – offensichtlich konnte die automatische Nährstoffzufuhr nicht mit seiner Körperzeit mithalten. Er musste seine ganze Kraft zusammennehmen, um die Klaue in die Halterung am Gürtel einzupassen und umzudrehen, bis die Zusatzdosis aktiviert wurde. Als er spürte, wie die Nadel seine Bauchdecke durchdrang, drehte er weiter, bis die heißen Nährstoffe durch die Adern schossen. Erst jetzt konnte er sicher sein, dass die Vene richtig getroffen worden war. Fast im selben Moment ging es ihm wieder besser.
    Währenddessen sah er in rasender Abfolge unzählige Gebäude als verwischte Kleckse vor

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