Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
die mich beobachteten, während wir die Schotterstraße hinunterschlenderten. Vielleicht existierten die Gesichter an der Hausecke aber auch nur in meiner Einbildung.
Macht sagte nichts.
Virginia und ich hielten uns an den Händen, während wir neben ihm hergingen. Ich hätte mich an diesem sonderbaren Ausflug erfreut, aber ihre Hand hielt meine krampfhaft umklammert, und von Zeit zu Zeit biss sie sich auf die Unterlippe. Ich wusste, was ihr das bedeutete – sie war auf einer Pilgerreise. (Eine Pilgerreise war in der Antike eine Wanderung zu einem heiligen Ort, der Leib und Seele guttat.) Mir machte es nichts aus, mitzugehen. Tatsächlich hätten sie mich überhaupt nicht davon abhalten können, sie zu begleiten, seit sie und Macht beschlossen hatten, das Café zu verlassen. Aber ich brauchte das doch wohl nicht zu ernst zu nehmen. Oder doch?
Was hatte Macht vor?
Wer war Macht? Welche Gedanken hatte sein Verstand in diesen zwei Wochen hervorgebracht? Wie weit war er uns in der neuen Welt voller Gefahren und Abenteuer voraus? Ich traute ihm nicht über den Weg. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich einsam. Immer, immer, bis vor kurzem, hatte ich nur an die Instrumentalität denken müssen, und irgendein Beschützer sprang schwer bewaffnet in meinen Geist. Telepathie schützte vor allen Gefahren, heilte alle Wunden, begleitete uns bis zum 146 097. Tag unseres Lebens. Nun war alles anders. Ich kannte diesen Mann nicht und verließ mich trotzdem auf ihn, und nicht mehr auf die Mächte, die uns bislang behütet und beschützt hatten.
Wir verließen die verfallene Straße und stießen auf einen riesigen Boulevard. Das Pflaster war so glatt und unversehrt, dass nichts auf ihm wuchs, bis auf die Stellen, wo Wind und Staub kleine Erdhäufchen zurückgelassen hatten.
Macht hielt an.
»Das ist er«, erklärte er. »Der Alpha Ralpha Boulevard.«
Wir verstummten und besahen die Prachtstraße längst vergangener Imperien.
Zu unserer Linken verschwand der Boulevard in einer sanften Kurve. Er führte weit in den Norden der Stadt, wo ich aufgewachsen war. Ich wusste, dass im Norden noch eine andere Stadt lag, aber ich hatte ihren Namen vergessen. Warum sollte ich mich auch daran erinnern? Sie sah gewiss genauso aus wie meine Heimatstadt.
Aber zu unserer Rechten …
Dort stieg der Boulevard steil in die Höhe, wie eine Rampe. Er verschwand in den Wolken. Dicht unterhalb der Wolkendecke schien sich eine Katastrophe abgespielt zu haben. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber es wirkte auf mich, als ob der ganze Boulevard von einer unvorstellbaren Kraft glatt durchtrennt worden war. Und irgendwo über den Wolken befand sich der Abba-Dingo, der Ort, an dem alle Fragen eine Antwort fanden …
Zumindest glaubten das die beiden.
Virginia drückte sich eng an mich.
»Lass uns zurückkehren«, bat ich. »Wir sind Stadtmenschen. Wir wissen nichts über Ruinen.«
»Sie können umkehren, wenn Sie wollen«, sagte Macht. »Ich wollte Ihnen nur einen Gefallen tun.«
Wir sahen beide Virginia an.
Ihre braunen Augen richteten sich auf mich. In ihnen lag ein Flehen, das älter war als Frau oder Mann, älter als die Menschheit. Ich wusste, was sie sagen würde, bevor sie es sagte. Sie würde sagen, dass sie es einfach wissen musste .
Macht zertrat gelangweilt einige bröcklige Gesteinsstücke, die vor ihm auf dem Boden lagen.
Schließlich sagte Virginia: »Paul, ich suche nicht die Gefahr um der Gefahr willen. Aber ich meinte, was ich vorhin sagte. Ist es nicht möglich, dass uns befohlen wurde, uns zu lieben? Was wäre das für eine Art Leben, wenn unser Glück, unser eigenes Selbst von einer Maschine abhinge, die zu uns sprach, als wir noch schliefen und Französisch lernten? Vielleicht ist es lustig, in die alte Welt zurückzukehren. Ich nehme es an. Ich weiß, dass ich dir ein Glück zu verdanken habe, von dem ich vor diesem Tage niemals auch nur zu träumen gewagt habe. Wenn wir wirklich wir selbst sind, dann ist es etwas Wundervolles, und dann sollten wir es auch erfahren. Aber wenn es nicht so ist …«
Ich wollte sagen: »Wenn es nicht so ist, dann wird es trotzdem so sein, als ob.« Aber das düstere Gesicht von Macht blickte mich über Virginias Schulter hinweg an, als ich sie an mich drückte. Es gab nichts zu sagen.
Ich hielt sie fest im Arm.
Unter Machts Fuß sickerte ein dünner Blutfaden hervor. Der Staub saugte ihn auf.
»Macht«, fragte ich, »sind Sie verletzt?«
Auch Virginia drehte sich
Weitere Kostenlose Bücher