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Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Titel: Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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anzulegen, und hier gibt es keine Jahreszeiten, deshalb weiß keiner von uns, wie lange etwas dauert. Ich neige zu der Auffassung, dass alles ungefähr zwei Erdwochen in Anspruch nimmt.«
    Mercer wusste nicht, was eine »Erdwoche« war, denn vor seiner Verurteilung war er kein sehr gebildeter Mann gewesen, aber im Augenblick war aus dem Halbmenschen nicht mehr herauszubekommen. Der Halbmensch erhielt eine dromozootische Einpflanzung, sein Gesicht färbte sich rot, und sinnlos brüllte er Mercer an: »Hol es heraus, du Narr! Hol es aus mir raus!«
    Während Mercer ihn nur hilflos anstarrte, drehte sich der Halbmensch auf die Seite, wandte Mercer seinen staubigen rosa Rücken zu und weinte bitter und still vor sich hin.
    Mercer wusste selbst nicht, wie lange es gedauert hatte, bis S’dikkat zurückkehrte. Es konnten mehrere Tage gewesen sein, aber auch mehrere Monate.
    Wieder einmal bewegte sich S’dikkat unter ihnen wie ein Vater; wieder einmal umringten sie ihn wie Kinder. Diesmal lächelte S’dikkat dankbar, als er den kleinen Kopf sah, der aus Mercers Hüfte herausgewachsen war – der Kopf eines schlafenden Kindes mit einem dünnen Haarschopf und zierlichen Brauen über den ruhenden Augen. Mercer erhielt die freudenspendende Spritze.
    Als S’dikkat dann den Kopf von Mercers Hüfte abschnitt, spürte dieser, wie sich das Messer knirschend in das Knorpelgewebe grub, das den Kopf mit seinem eigenen Körper verband. Er sah, wie sich das kindliche Gesicht verzerrte, als der Kopf abgetrennt wurde; er fühlte den fernen, kühlen Blitz eines unwichtigen Schmerzes, als S’dikkat die Wunde mit einer ätzenden antiseptischen Flüssigkeit abtupfte, die sofort die Blutung stoppte.
    Beim nächsten Mal wuchsen zwei Beine aus seiner Brust.
    Dann formte sich ein zweiter Kopf neben seinem eigenen.
    Oder war das erst nach dem Unterleib des kleinen Mädchens gewesen, das ihm aus der Seite gewachsen war?
    Er hatte die Reihenfolge vergessen.
    Er berechnete die Zeit nicht mehr.
    Lady Da lächelte ihn oft an, aber es gab keine Liebe an diesem Ort.
    Sie hatte ihre zusätzlichen Rümpfe verloren. Zwischen den einzelnen Missbildungen war sie eine hübsche und wohlgeformte Frau, aber das Schönste an ihrer Beziehung waren ihre tausendmal wiederholten, mit Lächeln und Hoffnung geflüsterten Worte: »Die Menschen leben nicht ewig.«
    Sie schien das ungeheuer tröstlich zu finden, obwohl Mercer keinen rechten Sinn darin erblickte.
    So reihte sich ein Ereignis an das andere, und das Aussehen der Opfer wandelte sich, und neue trafen ein. Manchmal brachte S’dikkat die Neuen, die im ewigen Schlaf ihrer ausgebrannten Gehirne dahindämmerten, in einem Geländewagen zu anderen Herden hinaus. Die Körper auf dem Wagen schlugen um sich und wimmerten ohne menschliche Sprache, wenn die Dromozoen sie bissen.
    Schließlich gelang es Mercer, S’dikkat zu der Tür des Stützpunktes zu folgen. Er musste dabei gegen das Glücksgefühl des Super-Kondamins ankämpfen. Nur die Erinnerung an frühere Schmerzen, Verwirrung und Bestürzung verliehen ihm die Überzeugung, dass, wenn er S’dikkat nicht fragte, während er, Mercer, glücklich war, die Antwort nicht mehr zu bekommen sein würde, wenn er sie brauchte. Er kämpfte gegen das Glück an und bat S’dikkat, in den Aufzeichnungen nachzusehen und ihm zu sagen, wie lange er sich hier schon befand.
    Widerwillig sagte S’dikkat zu, doch er kam nicht mehr aus der Tür heraus. Er sprach durch den Kasten für öffentliche Bekanntmachungen, der außen an dem Haus angebracht war, und seine mächtige Stimme dröhnte über die leere Ebene, so dass die rosa Herde schwatzender Menschen kurz ihre Glückseligkeit vergaß und sich fragte, was ihnen ihr Freund S’dikkat wohl mitzuteilen hatte. Was er dann sagte, erschien ihnen ungemein tiefsinnig, obwohl es keiner von ihnen verstand, denn es war nichts weiter als die Zeit, die Mercer schon auf Shayol verbracht hatte: »Standardjahre – vierundachtzig Jahre, sieben Monate, drei Tage, zwei Stunden, elfeinhalb Minuten. Viel Glück, Freund!«
    Mercer wandte sich ab. Der geheime kleine Winkel seines Bewusstseins, der während des Glücks und der Schmerzen immer wach blieb, ließ ihn sich fragen, was wohl mit S’dikkat los war. Was veranlasste den Stiermann, auf Shayol zu bleiben? Warum war er ohne Super-Kondamin so glücklich? War S’dikkat ein verrückter Sklave seines eigenen Pflichtgefühls, oder war er ein Mann, der die Hoffnung hegte, eines Tages zu seinem

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