Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
uns? Möchten Sie Platz nehmen?«
Helen beantwortete alle Fragen mit einem einzigen »Ja« und hätte es sich wohl niemals träumen lassen, dass dieses eine »Ja« von Hunderten großer Schauspielerinnen wiederholt werden würde, jede auf ihre eigene unverwechselbare Art, durch alle kommenden Jahrhunderte hindurch.
Sie setzte sich.
Wie es dann weiterging, das wusste keiner von ihnen später mehr genau.
Sie musste ihn beruhigen, als wäre er ein verletzter Mensch im Haus der Genesung. Sie erklärte ihm die Gerichte, und als er sich dann immer noch nicht entscheiden konnte, ließ sie durch die Roboter etwas für ihn auswählen. Sie machte ihn, sehr freundlich, auf die Tischsitten aufmerksam, als er die einfachsten Manieren vergaß, die jeder beherrschte – beispielsweise aufzustehen, wenn man eine Serviette entfaltete, oder die Essensreste in die Auflösungsschale zu legen und das Silberbesteck in den Übermittler.
Schließlich entspannte er sich und wirkte nicht mehr so alt.
Für einen Augenblick vergaß sie, dass ihr schon tausendmal dumme Fragen gestellt worden waren, und erkundigte sich: »Warum sind denn Sie Segler geworden?«
Er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen und einem Ausdruck an, als ob sie in einer fremden Sprache auf ihn eingeredet hätte und nun eine Antwort erwartete. Schließlich flüsterte er: »Wollen Sie … auch Sie … damit sagen, dass … dass ich es nicht hätte tun sollen?«
In instinktivem Erschrecken schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Nein, nein, nein. Sehen Sie, ich selbst habe eine Ausbildung als Seglerin beantragt.«
Er blickte sie nur an, seine jungen, alten Augen aus Wachsamkeit geweitet. Er starrte sie nicht richtig an, schien lediglich zu versuchen, den Sinn ihrer Worte zu verstehen, die er einzeln begriff, deren Summe allerdings wie heller Wahnsinn wirkte.
Sie wich seinem Blick nicht aus. Wiederum hatte sie Gelegenheit, die unbeschreibliche Einzigartigkeit dieses Mannes zu erkennen, dem es gelungen war, die gewaltigen Segel hinaus in die blinde, leere Schwärze zwischen den Sternen zu steuern. Er war wie ein Junge. Sein Haar, das ihm seinen Namen verliehen hatte, war von glänzendem Schwarz. Sein Bart musste für immer entfernt worden sein, denn seine Haut war die einer Frau mittleren Alters – gut erhalten, gepflegt, aber bereits unübersehbar von Altersfältchen durchzogen und ohne eine Andeutung normaler Bartstoppeln, die die Männer ihrer Welt auf ihren Gesichtern stehen ließen. Die Haut war gealtert, ohne ihre Erfahrungen zu verraten. Die Muskeln waren älter geworden, aber sie gaben keinen Aufschluss darüber, wie sich seine Persönlichkeit entwickelt hatte.
Helen hatte gelernt, die Menschen genau zu beobachten, seit ihre Mutter sich mit einem Fanatiker nach dem anderen eingelassen hatte; sie wusste sehr genau, dass die Menschen ihre geheim gehaltenen Lebenserfahrungen in den Gesichtsmuskeln entblößten und dass auch ein Fremder, dem man auf der Straße begegnete, ob es ihm nun gefiel oder nicht, auf diese Weise all seine intimsten Gedanken verriet. Wenn man scharf genug hinschaute, unter den richtigen Lichtverhältnissen, erfuhr man, ob nun Furcht oder Hoffnung oder Vergnügen die Tage seines Lebens erfüllt hatten, erahnte man die Quellen und die Ergebnisse seiner geheimsten sinnlichen Lüste, empfing man den matten, aber unauslöschlichen Nachhall der anderen Menschen, die die Eindrücke ihrer Persönlichkeiten im Tausch gegen die seinen hinterlassen hatten.
All dies fehlte Mr. Nicht-mehr-grau; er war alt, trug aber nicht die Zeichen des Alters; er war erwachsen geworden ohne die normalen Merkmale des Erwachsenwerdens; er hatte gelebt, ohne zu leben, in einer Zeit und einer Welt, in der die meisten Menschen jung blieben, während sie zu viel lebten.
Er war das vollkommenste Gegenstück zu ihrer Mutter, das Helen jemals gesehen hatte, und in einer Explosion unbestimmter Besorgnis erkannte Helen, dass dieser Mann in ihrem zukünftigen Leben eine große Rolle spielen würde, ob sie wollte oder nicht. Sie sah in ihm einen jungen, vorzeitig gealterten Junggesellen, einen Mann, der seine Liebe der Leere und dem Schrecken verschrieben hatte und nicht den greifbaren Erfolgen und Niederlagen eines menschlichen Lebens. Er hatte den ganzen Weltraum als Geliebte besessen, und der Weltraum hatte ihn auf das Grausamste verbraucht. Noch immer jung, war er alt; obgleich alt, war er jung.
Es war eine Mischung, von der sie wusste, dass sie ihr nie zuvor
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