Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
begegnet war, und von der sie vermutete, dass es anderen genauso ging. Er besaß bereits am Anfang seines Lebens die Traurigkeit, das Mitleid und die Weisheit, die die meisten Menschen erst im Alter fanden.
Er war es, der das Schweigen brach: »Ich glaube, Sie erwähnten, dass Sie sich als Seglerin beworben haben?«
Selbst in ihren Ohren klang ihre Antwort töricht kindlich. »Ich bin die erste Frau, die sich in den notwendigen wissenschaftlichen Disziplinen qualifizieren konnte und dennoch jung genug ist, um die physischen …«
»Dann müssen Sie ein ungewöhnliches Mädchen sein«, unterbrach er sie sanft.
Helen erkannte mit einem plötzlichen Schrecken, dass süße und bittere Hoffnung sie überkam, dass dieser junge, alte Mann von den Sternen vermutlich nie etwas über das »vollkommene Kind« gehört hatte, über das man von ihrer Geburt an gelacht hatte, das Mädchen, das ganz Amerika als Vater besaß, das berühmt und ungewöhnlich und so schrecklich einsam war, dass sie sich nicht einmal vorstellen konnte, gewöhnlich, glücklich, achtbar oder einfach zu sein.
Sie dachte bei sich: Es ist wohl ein wunderlicher Weiser erforderlich, der von den Sternen hereingesegelt kam, um nicht zu wissen, wer ich bin, doch zu ihm sagte sie lediglich: »Es besteht kein Grund, sich darüber zu unterhalten, wie ›ungewöhnlich‹ ich bin. Ich bin dieser Erde überdrüssig und da ich nicht zu sterben brauche, um sie zu verlassen, denke ich, dass es schön wäre, zu den Sternen zu segeln. Ich habe weniger zu verlieren, als Sie vielleicht glauben …« Sie wollte ihm von Mona erzählen, hielt aber inne.
Seine mitfühlenden grauen Augen ruhten auf ihr, und in diesem Moment war er es und nicht sie, der die Situation in der Hand hatte. Sie blickte in seine Augen. Sie waren vierzig Jahre lang geöffnet gewesen, in der Finsternis seiner engen Schaltzentrale, die nahezu pechschwarz gewesen war. Die trüben Skalen hatten sich wie glühende Sonnen in seine Augen gebrannt, bevor er in der Lage gewesen war, sie abzuwenden. Von Zeit zu Zeit hatte er hinaus in das schwarze Nichts geblickt und die Silhouetten der Segel gesehen, die sich fast schwarz von der vollkommenen Schwärze abhoben, während die ins Unendliche reichende Ausdehnung ihrer Schwingen den Schub des Lichts aufsaugten und ihn und seine gefrorene Fracht mit fast unvorstellbarer Geschwindigkeit durch das Meer der unergründlichen Stille trugen.
Und trotzdem wollte sie das auf sich nehmen, was er auf sich genommen hatte.
Der Blick seiner grauen Augen wich einem Lächeln seiner Lippen. In dem jungen, alten Gesicht, männlich in der Form und weiblich in der Beschaffenheit, besaß das Lächeln die Bedeutung ungeheuerlicher Freundlichkeit. Wie niemals zuvor war sie den Tränen nahe, als sie ihn auf diese besondere Weise lächeln sah. War es das, was die Menschen in den Sternen lernten? Anteil zu nehmen an dem Schicksal anderer Menschen und nur von ihnen Besitz zu ergreifen, um Liebe zu geben, statt sie wie Opfer zu verschlingen?
Mit beherrschter Stimme sagte er: »Ich glaube Ihnen. Sie sind der erste Mensch, dem ich glaube. All die anderen Leute haben behauptet, dass sie ebenfalls Segler werden wollten, sogar wenn sie mich ansahen. Sie konnten überhaupt nicht ahnen, was das bedeutet, aber sie haben es trotzdem gesagt, und ich habe sie dafür gehasst. Sie aber – Sie sind anders. Vielleicht werden Sie zu den Sternen segeln, aber ich hoffe es nicht.«
Als ob er aus einem Traum erwachte, blickte er sich in dem luxuriösen Saal um, an dessen Wänden gold- und emailleverzierte Roboterkellner mit lässiger Eleganz standen. Sie waren so konstruiert, dass sie stets gegenwärtig und niemals aufdringlich wirkten; ein schwieriger ästhetischer Effekt, der nicht einfach zu erzielen gewesen war, doch dem Konstrukteur war es geglückt.
Der Rest des Abends verlief wie die Unvermeidlichkeit guter Musik. Er spazierte mit ihr zu dem ewig einsamen Strand, den die Architekten von Neu-Madrid neben dem Hotel angelegt hatten. Sie unterhielten sich ein wenig, sahen einander an und liebten sich mit einer Selbstverständlichkeit, die nicht aus ihrem Innern zu kommen schien. Er war sehr zärtlich und erkannte doch nicht, dass in einer genetisch aufgeklärten Gesellschaft wie dieser er der erste Liebhaber war, den sie jemals gewollt oder gehabt hatte. (Wie konnte sich die Tochter von Mona Muggeridge einen Geliebten oder einen Ehemann oder ein Kind wünschen?)
Am nächsten Nachmittag nahm sie
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