Was bin ich wert
man nun die – vor allem körperlichen – Einzelteile eines Menschen so konkret bewerten kann, dann müßte es doch möglich sein, diese Einzelteile mit den entsprechenden Einzelsummen zu einem funktionsfähigen Körper und seinem Gesamtwert zusammenzusetzen.
Gute Idee, dachten auch der österreichische Volkswirtschaftler Professor Hannes Winner und seine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Andrea Leitner und Magdalena Thöni. Sie veröffentlichen 2008 die Studie Menschliche Körperteile und der Wert des menschlichen Lebens – Eine monetäre Bewertung mittels Schmerzensgeldentscheidungen . Sie nahmen die inflationsbereinigten Schmerzensgeldsummen aus Deutschland (aus den letzten 32 Jahren) und Österreich (aus den letzten 24 Jahren) und begannen zu werten und zu rechnen. Heraus kam diese Tabelle:
Werte menschlicher Körperteile und Organe (in Euro) nach Andrea Leitner, Magdalena Thöni und Hannes Winner [1]
Körperteil
Mittelwert
Minimum
Maximum
Beine
511
345
289
590
1
003
664
Hüften
49
891
24
348
70
348
Becken
23
484
2
913
55
000
Geschlechtsorgane
30
247
1
150
105
000
Brust/Brustkorb
18
451
1
713
47
500
Innere Organe
107
310
16
050
452
500
Arme
113
832
37
200
297
914
Rücken
226
445
105
950
513
481
Kopf
110
846
7
250
345
123
Gesicht
18
540
3
125
81
197
Sinnesorgane
234
149
66
400
749
038
Nervensystem
145
436
40
250
340
750
Psyche
82
373
2
450
1
170
985
Summe
1
672
349
598
389
5
232
500
Schließlich stellt das Forschertrio fest, daß der Mittelwert »für ein menschliches Leben« etwa 1,7 Millionen Euro beträgt. 1,7 Millionen Euro – die müßten dann ja auch für mich gelten. Nicht schlecht, denke ich. In ihrer Schlußfolgerung heben die Ökonomen zufrieden hervor, daß ihr Bewertungsansatz »objektiv den gesellschaftlichen Wert eines Menschen widerspiegelt«, da er auf richterlichen Urteilen einschließlich Expertenmeinungen basiert.
Das ist sehr interessant, wirft aber auch Fragen auf. Die banalste lautet: Wenn ein ganzer Mensch in Deutschland oder Österreich knapp 1,7 Millionen Euro wert sein soll, weil die Gerichte entsprechende Schadensersatzleistungen zusprechen, was bedeutet es dann, wenn ein Gericht in New York, wie im April 2009 geschehen, allein für ein amputiertes Bein 20 Millionen Dollar veranschlagt? Mein Anwalt zuckt dazu mit den Schultern, murmelt etwas von rechtshistorischen Unterschieden und extrem hohen Anwaltshonoraren, und auch wenn er es nicht zugibt – ich bin sicher, er ist ein wenig neidisch.
8.
»Alles ist käuflich.«
Besuch bei einem Politiker
Im Kino habe ich den Dokumentarfilm Let’s Make Money von Erwin Wagenhofer über die Hintergründe der globalen Wirtschaftskrise gesehen. Er hat mich beeindruckt. In dem Film taucht ein Politiker auf, der Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zitiert: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« Der Politiker verlangt in diesem Sinne soziale Umverteilung zugunsten der Gesellschaft: »Nur dann kann das humanitäre Prinzip aufrechterhalten werden.« Klingt gut, ist aber noch nicht alles:
»Wenn wir so weitermachen, dann kommen neue Selektionsmechanismen – Selektionsmechanismen zwischen Staaten, zwischen Rassen, zwischen Religionen, zwischen berechtigten und unberechtigten, wertvollen und nicht wertvollen Menschen. Dann wird [Achtung!] der monetäre Wert des Menschen irgendwann in den Vordergrund geschoben. Und dann beginnt ein neues Zeitalter der Barbarei.«
Der »monetäre Wert des Menschen« – dieser Politiker, denke ich, ist mein Mann. Etwas überrascht bin ich, als ich erfahre, daß es sich um ein Mitglied der SPD handelt. Ich hätte weiter links getippt. Sein Name ist Hermann Scheer, Mitglied des Bundestages und des Bundesvorstands seiner Partei. 1999 bekam er für seinen Einsatz für die Solarenergie den Alternativen Nobelpreis. Wikipedia listet noch eine lange Reihe weiterer Preise und Auszeichnungen auf und zitiert Scheer mit der Aussage: »Ich bin weltweit anerkannt als ein Vorreiter für die Wirtschaftsorientierung der Zukunft. Und wenn das einige scheinbar besonders kluge Köpfe noch nicht verstanden haben, ist das nicht mein Problem.«
Er nimmt also kein Blatt vor den Mund. Und vielleicht, so meine Hoffnung, hat er auch ein paar offene Worte für mich übrig. Der »Vorreiter«
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