Was bin ich wert
überlegt trotzdem, murmelt ein paar Zahlen.
– Eine halbe Million. Vielleicht weniger.
Da ist noch eine andere Geschichte, die ich bei Spengler loswerden muß. 1995 gab es in einem Bericht des Weltklimarats ( IPCC ), bei dem es auch um die »ökonomischen und sozialen Kosten des Klimawandels« ging, eine Fußnote, die für Aufsehen sorgte. Es ging um die Bereitschaft, klimabedingte Umweltschäden durch monetäre Investitionen zu vermeiden. Die lag nach einer entsprechenden Untersuchung in den westlichen Industrieländern im Schnitt 15mal so hoch wie etwa in dem Entwicklungsland Bangladesch. Der vielfach ausgezeichnete Umweltökonom David Pearce vom University College London zog als verantwortlicher Autor daraus den Schluß, ein Menschenleben in den westlichen Industrieländern entspreche dem Leben von 15 Bangladeschis. Dagegen protestierten die Vertreter verschiedener Entwicklungsländer undMenschenrechtsgruppen. Vergeblich. Die Formulierung wurde nicht gestrichen.
– Klar, das ist zynisch.
Sogar Spengler sieht da ein Problem. Oder doch nicht?
– Aber so ist es. Rein mathematisch ist das korrekt. Wir sind ja hier auf einem höheren Niveau. Wir machen uns Gedanken über Umwelt, das ist dem Bangladeschi, der kaum was zu essen hat, doch egal, der hat ganz andere Bedürfnisse. Er bewertet sein Leben geringer.
Ganz schön mutig. Ich meine Spengler, nicht den Bangladeschi. Letzterer, ich würde es zumindest nicht ganz ausschließen, macht sich zwischen all den Überschwemmungen wahrscheinlich auch ab und an Gedanken über die Umwelt. Zumindest wenn er davon hört, daß bei einem weiteren Anstieg der globalen Temperatur ein Fünftel seines Landes und damit die Lebensgrundlage von 34 Millionen Menschen absaufen könnte.
– Würden Sie sagen, daß das Leben eines Bangladeschis weniger wert ist als mein Leben?
Spengler muß erst mal zur Toilette, kommt aber wieder.
– Die Bewertung kommt doch von ihm selbst, deswegen ist das nicht unmoralisch. Natürlich spielt sein beschränktes Budget eine Rolle.
– Sind Ökonomen zynisch?
– Pearce’ Logik in dem Klimabericht ist richtig. Man kann das schon so sagen wie er. Aber man sollte vorsichtig sein. Es ist besser, wenn man im Kontext seines Landes bleibt. Natürlich habe auch ich mich gefragt, ob diese Rechnungen zynisch sind. Aber: nein! Sie basieren auf den Entscheidungen der Leute selbst.
Ob das mit dem »Kontext des jeweiligen Landes« wirklich vor den diversen Abgründen schützt? Ich bin mir da nicht so sicher. WSL -Befragungen in Berlin-Kreuzberg oder einer mecklenburgischen Randgemeinde könnten vermutlich schon zu anderen Ergebnissen führen als etwa in Baden-Baden oder auf Sylt. Das könnte, konsequent zu Ende gedacht, zu erheblichen Ampel-Ballungen in letztgenannten Gemeinden führen.
– Aber kollidieren diese Kosten-Nutzen-Rechnungen mit Menschenleben nicht mit einem ethischen Grundverständnis?
– Ich denke nicht. Der Wert eines statistischen Lebens ist ein probater Ansatz, Politik effizienter zu gestalten. Das ist gut für die Menschen und damit ethisch. Man könnte umgekehrt auch sagen, es sei ethisch, diese Rechnungen durchzuführen, und zynisch, es nicht zu tun.
Spengler lehnt sich zurück. Der WSL , sagt er, bietet Orientierung bei der Abschätzung von Investitionen. Etwa wenn es um die öffentliche Sicherheit geht. Man könne ja nicht in jedem Hauseingang einen Polizisten postieren.
– Das können wir uns schließlich nicht leisten. Man sucht also ein Optimum, weil die völlige Eliminierung von Kriminalität zu teuer wäre. Und der Staat trifft de facto ständig solche Entscheidungen, ohne über Ethik nachzudenken.
– Wie fundiert ist die Forschung?
Spengler denkt nach, etwas länger als sonst.
– Wenn man Böses will, kann man viele Studien zerlegen. Das ist manchmal auch sehr frustrierend. Wir sind in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften noch ganz am Anfang. Das sind schließlich keine exakten Wissenschaften. Deswegen ist es so wichtig, die ökonomischen Untersuchungen voranzutreiben. Das ist unsere Pflicht. Natürlich, wir werden dafür auch bezahlt. Sicher ist das auch ein Grund. Aber selbst wenn unsere Ergebnisse anfechtbar und unvollständig sind: Wir dürfen nicht stehenbleiben. Wir wollen die Welt doch besser machen.
Spengler muß zurück nach Frankfurt. Zum Abschied hat er mir auf meinen Wunsch hin noch eine abgespeckte Versuchsanordnung spendiert. Sie sieht
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