Was bin ich wert
Aussicht auf eine konkrete Rechnung beflügelt mich. Dort steht, ein menschlicher Körper bestehe aus ungefähr 65 Prozent Wasser, 20 Prozent Eiweiß, 10 Prozent Fett, 4 Prozent Mineralstoffen und einem Prozent Kohlenhydraten, wobei der Flüssigkeitsanteil vom Alter abhängt.
Ich schaue genauer nach. Ich hole meinen Taschenrechner und finde es in diesem Moment erstmals richtig praktisch, daß ich ziemlich genau 100 Kilo wiege. Es entsteht eine Liste mit 15 Chemikalien. Der größte Posten ist Sauerstoff (etwa 63 Kilogramm) der kleinste relevante Stoff Jod (etwa 40 Milligramm), dazu noch eine Menge von den Sachen, die mir früher im Chemieunterricht immer viel Spaß gemacht haben: Wasserstoff (ca. 10 Kilogramm), Phosphor (ca. ein Kilogramm) oder Schwefel (200 Gramm). Wegen der explosiven Mischung.
Aber was kosten 63 Kilogramm Sauerstoff oder 200 Milligramm Mangan? Ich gehe in meine Lieblingsapotheke und lasse erst mal alle anderen Kunden vor. Ich möchte das mit meinem Wert gern vertraulich besprechen. Ich zeige der Apothekerin die Liste, erkläre, worum es geht, daß ich wissen will,was ich koste. Sie zuckt nicht einmal mit den Wimpern. Nächste Woche sei ihre Kollegin wieder da, die könne das sicher für mich ausrechnen. Mit soviel Service habe ich nicht gerechnet. Eine Woche ist kein Problem. Sie schaut noch mal auf den Zettel. Einige der Stoffe könne man nicht in chemisch reiner Verbindung kaufen. Ich habe keine Ahnung, was man da macht. Sie entscheidet, im Zweifelsfall die jeweils billigste Verbindung zu wählen. Ich will protestieren, es könnten ruhig auch die teureren Sachen sein – da steht schon der nächste Kunde im Laden und ich wieder auf dem Bürgersteig.
Ich denke daran, daß ein Mensch praktisch überall gezeugt werden kann, ohne daß extra Rohstoffe importiert werden müssen. Und ich denke an den weltweiten Rohstoffhandel, an die mal dramatisch steigenden und mal dramatisch fallenden Preise. Ich frage mich, ob ich auf der rein körperlichen oder besser chemischen Ebene gerade ein Globalisierungsgewinner oder -verlierer bin. Doch das ist mir jetzt erst mal egal. Ich freue mich auf das Ergebnis, das heißt auf eine ganz konkrete Zahl.
Eine Woche später gehe ich wieder in die Apotheke und bekomme sogar eine komplette Tabelle.
Element
Masse
Marktwert
Sauerstoff (O) ca. 63 %
ca. 63 kg
133,48 Euro
Kohlenstoff (C) ca. 20 %
ca. 20 kg
713,00 Euro
Wasserstoff (H) ca. 10 %
ca. 10 kg
0,0229 Euro
Stickstoff (N) ca. 3 %
ca. 3 kg
120,00 Euro
Kalzium (Ca) ca. 1,5 %
ca. 1,5 kg
20,85 Euro
Phosphor (P) ca. 1 %
ca. 1 kg
13,90 Euro
Kalium (K) ca. 0,25 %
ca. 250 g
10,25 Euro
Schwefel (S) ca. 0,2 %
ca. 200 g
8,00 Euro
Chlor (Cl) ca. 0,1 %
ca. 100 g
0,35 Euro
Natrium (Na) ca. 0,1 %
ca. 100 g
0,35 Euro
Magnesium (Mg) ca. 0,04 %
ca. 40 g
2,04 Euro
Eisen (Fe) ca. 0,004 %
ca. 4 g
0,192 Euro
Kupfer (Cu) ca. 0,0005 %
ca. 500 mg
0,0049 Euro
Mangan (Mn) ca. 0,0002 %
ca. 200 mg
0,0082 Euro
Jod (I) ca. 0,00004 %
ca. 40 mg
0,00694 Euro
Summe:
1022,45 Euro
Ich habe also einen Materialwert von 1022,45 Euro, wobei ausgerechnet meine 20 Kilo Kohlenstoff mit 713 Euro am meisten reinhauen. Das ist ernüchternd. Ich danke und gehe.
Zu Hause präsentiere ich das Ergebnis meiner Liebsten. Sie versucht mich zu trösten, ist selbst aber etwas irritiert. Klar – sie wiegt etwa 58 Kilogramm, also 42 Prozent weniger als ich. Sie ist demnach nur knapp 600 Euro wert. Ein wahres Ungleichgewicht. Vielleicht sogar für unsere Beziehung? Das könnte Ärger bedeuten. Ich beschließe, diesen interessanten Aspekt zumindest im engeren Familienkreis nicht weiter zu vertiefen.
Später erfahre ich noch von einer anderen Zahl. Laut dem Biochemiker Harold J. Morowitz von der Universität in Yale müßte mein Körper etwa acht Millionen Dollar wert sein. Das ist eine Rechnung aus den siebziger Jahren, welche die Kosten für die hochorganisierten chemischen Verbindungen in meinem Körper addiert. Das ist aber recht abstrakt und eigentlich nicht zu überprüfen. Also lasse ich das und suche mir lieber einen Philosophen.
14.
Was die Ethik rät. Gespräch mit dem Philosophen Volker Gerhardt
Bei der deutschen Ethik geht es lockerer zu als erwartet. Zumindest bei der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates im Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Weit über 100 Besucher sind zum Berliner Gendarmenmarkt gekommen. Sie tragen Jeans und T-Shirt, Hemd und Krawatte oder auch Rock und Bluse in vielen bunten Farben. Das Alter
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