Was bin ich wert
folgendermaßen aus:
Du brauchst ein Auto und hast zwei Modelle zur Auswahl: Pro Jahr gibt es bei Modell A bei 1000 Fahrzeugen genau einen Unfall mit genau einem toten Fahrer. Dieses Auto würde euch umsonst zur Verfügung gestellt. Auto B ist 100 Prozent sicher. Bei dem gibt es keinen Unfall, keinen Toten. Für Auto B müßt ihr aber bezahlen.
Frage: Wieviel Euro wärt ihr tatsächlich (also auch mit Blick auf eure realen Möglichkeiten) bereit zu bezahlen, damit ihr Auto B fahren könnt?
Ich will den Wert eines statistischen Lebens in meinem Umfeld ermitteln. Deshalb werde ich jeden, der mir in den nächsten Wochen über den Weg läuft, mit Spenglers Frage konfrontieren. Dabei muß ich allerdings ein leicht mulmiges Gefühl unterdrücken. Die Methode fragt danach, wieviel es einer Person wert ist, ein Risiko zu vermeiden. Wenn ich, um ein Risiko von 1/10 000 zu vermeiden, 500 Euro zahlen würde, müßten es bei einem Risiko von 1/100 logischerweise 50 000 Euro, bei 1/10 genau 500 000 Euro und bei 1/1 schließlich fünf Millionen Euro sein. Diese fünf Millionen werden dann ja auch, der Methode entsprechend, als der Wert des statistischen Lebens bezeichnet. Aber wieso fragt man dann nicht gleich, was wärst Du bereit zu zahlen, um nicht jetzt garantiert sterben zu müssen? Weil – das geben die Freunde des WSL offen zu – die Antwort verweigert oder sehr stark in Richtung »unendlich« tendieren würde. Das kann ich menschlich sehr gut nachvollziehen. Im Sinne einer ökonomischen Wissenschaft sind solche Antworten allerdings unbrauchbar. Anstatt das anzuerkennen, operieren die entsprechenden Ökonomen mit noch halbwegs überschaubaren, aber nicht zu abstrusen Wahrscheinlichkeiten wie »Was würdest du zahlen, um ein Todesrisiko von 1/10 000 000 zu vermeiden?«. Nach der Zahlungsbereitschaft für eine Risikoreduktion zu fragen, scheint mir durchaus legitim, die Ergebnisse dann aber mittels einer einfachen Multiplikation zu dem Wert eines statistischen Lebens hochzupushen, kommt mir dann aber doch – vorsichtig ausdrückt – etwas tricky vor. Insbesondere weil der auf diese Weise monetarisierte Wert eines Menschenlebens ein »probater Ansatz« sein soll, »Politik effizienter zu gestalten«. Spengler hat damit keine ethischen Probleme. Das könnte man aber vielleicht auch anders sehen. Denn da kommt ja noch ein zweites Problem dazu. Spenglers »objektive« Zahlen sollendem Staat nutzen. Für den wäre ich dann 3,5 Millionen wert. Mhm. Darf der das? Also der Staat, nicht Spengler. Und: Will ich das? Es wird kompliziert.
Auf die Liste meiner potentiellen Gesprächspartner notiere ich mir das Stichwort »Philosoph«. Vorher gibt es aber noch eine Überraschung. Als ich einige Wochen nach dem Gespräch Spengler seine Aussagen wie verabredet zur Autorisierung vorlege, wobei er auch ein paar »zu harte« Formulierungen streicht, teilt er mir mit, der Wert eines statistischen Lebens sei wieder gesunken. Nach den allerneuesten Berechnungen, die er zusammen mit seiner Kollegin Sandra Schaffner auf der Grundlage von Arbeitsmarktdaten angestellt hat, beträgt der Wert eines statistischen Lebens in Deutschland nur noch knapp zwei Millionen Euro. Zumindest schreiben sie das in einem Artikel, den sie in Resource and Energy Economics , einem – so die Selbstauskunft auf der Website – Fachmagazin für ökonomische Analysen »auf hohem Niveau«, veröffentlicht haben. Demnach müßte sich unsere Gesellschaft nach Spenglers Logik in den letzten zwei Jahren ganz schön zurückentwickelt haben. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber wundern oder ob ich deshalb weinen soll.
13.
» 1022 , 43 Euro«, rein chemisch gesehen.
Dank an meine Apotheke
In der Süddeutschen Zeitung entdecke ich die Überschrift: »127 000 Euro für 600 Gramm Mensch«. Eine Überschlagsrechnung verrät mir, daß ich dementsprechend gut 21 Millionen Euro wert wäre. Dann lese ich weiter und stelle fest, daß es um Behandlungskosten für frühgeborene Babys geht. Krankenhäuser dürfen für ein Kind, das bei der Geburt weniger als 600 Gramm wiegt, eine Behandlungspauschale von bis zu 127 000 Euro berechnen.
Ich kam zwar auch zu früh, aber nur zwei Tage. Und ich wog knapp 4,5 Kilo. Also kann ich die 21 Millionen gleich wieder streichen.Trotzdem: Mein Körper sollte was wert sein. Ich meine ganz grundsätzlich, also materiell, das heißt chemisch.
Ich krame die alten Biologiebücher aus meiner Abiturzeit hervor. Die
Weitere Kostenlose Bücher