Was bin ich wert
als eine Art Herstellungswert zu berechnen. Dazu addiert er die Kosten für Kost und Logis sowie Erziehung und Bildung, wobei die investierten Summen ordnungsgemäß verzinst werden. Nicht nur die Kosten für »Gesundheitspflege und Wartung in den Säuglingswochen«, »Seelsorge« und »Spielzeug in den Spieljahren«, er kalkuliert auch das »Capitalrisico« mit ein. Das heißt den Verlust durch »Ausschuß«, also den Tod vor Ende der Erziehung beziehungsweise den »Verlust durch Mißlingen der Erziehung in a) physischer beziehungsweise b) psychischer Hinsicht«.
Ergebnis: Der Kostenwert mit Sterblichkeitszuschlag und vier Prozent Zinsen (»Sollte die Heranziehung einer neuen Generation eine weniger wirthschaftliche Capitalanlage sein,als die jenes kinderlosen Ehepaares?«) für einen »Knaben, niederer Bildung am Ende seiner Lernperiode im erfüllten 15. Jahre« betrug 3738,16 Mark. Umgerechnet auf die aktuelle Kaufkraft wären das knapp 24 000 Euro. Bei einem »Jüngling, mittlerer Bildung am Ende seiner Lernperiode im erfüllten 20. Jahre« waren es 12 137,56 Mark oder etwa 78 000 Euro. Ein »junger Mann, mit hoher Bildung am Ende seiner Lernperiode im erfüllten 25. Jahre« war entsprechend 27 550,23 Mark oder heute gut 175 000 Euro wert.
Bei den Mädchen war die Rechnung etwas einfacher. Für sie gab es keine Aussicht auf höhere Bildung. Und sie waren insgesamt preiswerter, weil Engel davon ausging, daß sie spätestens ab dem 10. Lebensjahr im Haushalt mithalfen, was er ihnen finanziell anrechnete.
So liegt der Kostenwert, inklusive Sterblichkeitszuschlag und vier Prozent Zinsen, »eines Mädchens niederer Bildung am Ende der Lernperiode im erfüllten 15. Jahre« bei 3563,19 Mark (knapp 23 000 Euro) und der »eines Mädchens mittlerer Bildung am Ende der Lernperiode im erfüllten 20. Jahre« bei 10 655,30 Mark (gut 68 000 Euro).
Bei allen Kalkulationen, das betont Engel ausdrücklich, bleibe der »ethische Wert« wegen seiner Unberechenbarkeit jedoch außen vor. Dessen ungeachtet verweist er auf die qualitativen Unterschiede zwischen den Menschen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft. Auf dieser Basis besitze jedes menschliche Leben seinen eigenen berechenbaren Wert. Entsprechend dieser wortwörtlichen Wertschätzung im monetären Sinn, so Engels Logik, sollte der Staat seine Bürger schon aus rein ökonomischem Kalkül schätzen und pflegen. Engels Pragmatismus irritiert und fasziniert mich. Ich möchte dem Thema weiter nachgehen und finde auch bald heraus, wer mir helfen könnte.
27.
Wenn einer » A « sagt, sagt auch einer » B «. Die Folgen können »verheerend« sein. Begegnung mit den Medizinhistorikern Thorsten Halling und Jörg Vögele
Drei Wochen nach der Lektüre von Engels Der Werth des Menschen besuche ich Professor Jörg Vögele und seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Thorsten Halling vom Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Düsseldorf.
Vögele ist Mitte Fünfzig und eher zurückhaltend, Halling dagegen Jahrgang 1971 und wesentlich gesprächiger. Im Rahmen eines mittlerweile abgeschlossenen Forschungsprojektes haben sie sich mit anderen Kollegen ausgiebig mit dem »Wert des Menschen« in der Bevölkerungswissenschaft beschäftigt und dazu auch zahlreiche Aufsätze, etwa über den Menschen als »volkswirtschaftliches Kapital«, veröffentlicht. Eine Antwort auf die Frage, was ein Mensch tatsächlich wert ist, haben sie dabei nicht gesucht, weil wir, so Halling, nun mal »kein Material sind, das man quantifizieren kann«. Ihr Interesse galt den Ökonomen, Versicherungsmathematikern, Statistikern und Medizinern, die das im Laufe der letzten 200 Jahre aber trotzdem immer wieder versucht haben.
»Der ›Wert des Menschen‹ in den Bevölkerungswissenschaften vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik« heißt einer der zahlreichen Aufsätze zum gleichnamigen Forschungsprojekt, die Vögele, in diesem Fall zusammen mit Wolfgang Woelk, veröffentlichte. Demnach wurde, Engels wies schon darauf hin, der ökonomische Wert des Menschen erstmals im 17. Jahrhundert von englische Ärzten und Volkswirtschaftlern berechnet. Das Ziel waren »möglichst zahlreiche und kräftige Untertanen«, denn, so ein Zitat des 1646 geborenen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz: »Die wahre Macht der Herrschaft liegt in der Zahl der Menschen. Wo nämlich Menschen sind, da sind auch Substanz und Kraft.« Populär wurde
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