Was bin ich wert
Behandlung dem Arzt zugestanden wird. In Berlin sind das bei den Hausärzten zur Zeit im Durchschnitt 734 Patienten in einem Vierteljahr. Dabei ist es egal, ob einer einmal mit Schnupfen oder zehnmal mit zehn verschiedenen Krankheiten kommt. Der »Fallwert« eines jeden Kranken beträgt für Hausärzte in Berlin aktuell durchschnittlich 43,48 Euro. Das heißt, für diese Summe darf er medizinische Basisleistungen erhalten. Das sind natürlich Durchschnittswerte. Der eine Patient kommt teurer, der andere billiger. Aber im Durchschnitt sollten es eben nicht mehr als 43,48 Euro sein, wobei besondere Leistungen, wie etwa ein Hausbesuch, in einem festgelegten Rahmen zusätzlich honoriert werden. Überweist mich meine Hausärztin an einen Facharzt, kann dieser wieder über eine neue Durchschnittssumme für meine Behandlung verfügen. Für einige Therapiemaßnahmen gibt es dann noch Sondertöpfe, das heißt, sie werden nicht auf die Fallwertsumme angerechnet. Für jede einzelne Leistung ist eine Punktzahl festgelegt. So bringt zum Beispiel ein Belastungs- EKG dem Hausarzt 565 Punkte beziehungsweise 19,78 Euro. Das RLV für ein Quartal beträgt bei einem Berliner Hausarzt im Durchschnitt (43,48 Euro x 734 =) 31 914,32 Euro. Wenn ein Arzt oder eben eine Ärztin mit der Summe letztlich nicht auskommt, weil zum Beispiel mehr Patienten kommen und die vielleicht sogar noch aufwendiger behandelt werden müssen, dann gibt es für dieses »mehr« weniger Geld. Meiner im Kiez beliebten Hausärztin passiert das ziemlich regelmäßig.
– Manchmal laufen hier an einem Tag 120 Patienten durch. Das ist wie ein Hamsterrad. Aber ich kann die ja nicht wegschicken. Zu den 43,48 Euro kommen aber auch noch ein paar Zusatzleistungen.
Sie schaut ein wenig hilflos und auch ein wenig ärgerlich. Bekanntlich wimmeln viele Ärzte Patienten einfach ab oder vertrösten sie auf das nächste Quartal, wenn ihr Budget ausgeschöpft ist und die Arbeit nicht mehr voll honoriert wird. Wer das nicht macht, zahlt drauf. Ich sei natürlich nicht nur 43,48 Euro wert, sagt meine Ärztin.
– Das war ein Scherz. Man kann ein Leben nicht in Geld umrechnen. Jedes Leben ist erhaltenswert. Egal was das kostet. Aber unser Gesundheitssystem ist krank. Allerdings ist das ein anderes Thema.
– Ja. Stimmt.
– Immer mehr von meiner Zeit geht für die Bürokratie drauf. Für die Patienten bleibt immer weniger. Das entwertet auch den Patienten.
– Sie meinen, die Patienten sind dann weniger wert?
– Irgendwie schon. Ich hab ja immer weniger Zeit für den einzelnen. In der Pflege ist das noch schlimmer. Da ist es dann fast schon wichtiger, einen Bericht zu schreiben, als einen Rücken zu waschen.
Auswandern will sie deswegen aber nicht. Das ist gut so. Für mich und für die deutsche Volkswirtschaft. Eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung der Universität München beziffert den Wert einer deutschen Ärztin oder eines deutschen Arztes mit einer Million Euro. Diese Summe entgeht dem deutschen Staat an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, wenn sich eine 30jährige Medizinerin dazu entschließt, ihre Heimat auf Dauer zu verlassen. Bei einem Facharbeiter aus der Metallindustrie sind es rund 280 000 Euro – jeweils ohne Berücksichtigung der Ausbildungskosten.
– Wird denn außer an der Zeit auch am Geld gespart?
– Natürlich wird gespart. Und wenn ich ein Medikament verschreibe, das der Krankenkasse nicht paßt, muß ich zum Teil zwei Euro Mehrkosten ein oder zwei Jahre später rechtfertigen.
Auch der Geldbetrag, den der Arzt für die Verordnung von Arznei-, Verbands- und Heilmittel, wie zum Beispiel Massagen und Krankengymnastik zur Verfügung hat, ist über einesogenannte »Richtgrößensumme« begrenzt. Die Richtgröße für Arzneimittel lag für Allgemeinmediziner im Jahr 2010 bei 50,63 Euro (Rentner 143,92 Euro) pro Patient und Quartal. Die Gesamtsumme errechnet sich dann durch die Multiplikation mit der Anzahl der Patienten, die der Praxis zugestanden werden. Wird diese Gesamtsumme um 15 Prozent überschritten, wird er gewarnt. Ab 25 Prozent muß der Arzt die einzelnen Verschreibungen einzeln rechtfertigen. Wird das nicht anerkannt, muß er die »zuviel« verordneten Medikamente aus eigener Tasche bezahlen.
– Die wirtschaftlichen Aspekte, das Geld wird immer wichtiger. Aber dafür habe ich nicht studiert!
Mir wird warm ums Herz.
– Und die Luft wird dünner, der Praxisalltag härter,
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