Was bin ich wert
obwohl mir die letzte Reform wohl etwas geholfen hat. Manchmal geht es nur ums Durchhalten. Der Taschenrechner wird immer wichtiger. Und mancher Kollege hat sich schon vom Taschenrechner erschlagen lassen.
– Was bedeutet das für die Patienten? Bekommt denn noch jeder, was er braucht?
– Was heißt, »was er braucht«?
– Na das, was notwendig ist.
– Das mit dem »notwendig« ist schwierig. Da war eine Patientin, die einen Herzschrittmacher brauchte. Sie war schon 85. Die Spezialistin, also Kardiologin, und ich waren uns da einig. Das Krankenhaus hat das dann erst mal abgelehnt. Wäre nicht »notwendig«. Aber die testen das halt in der Klinik, nicht im Alltag der Frau. Die lebt ja nicht im Krankenhaus.
– Ist schon mal ein Patient wegen so etwas gestorben?
– Hier? Nein. Obwohl, da war mal einer, der wollte sich die zehn Euro Praxisgebühr sparen. Und dann war es irgendwann zu spät. Da ist er gestorben. Der war noch jung. Ich habe das nicht verstanden. Der war sich die zehn Euro nicht wert. Obwohl ich den Leuten sogar gestatte, das in Raten zu bezahlen.
Kurzes Schweigen. Meine Ärztin schielt auf die Uhr. Fragender Blick. Dann fällt ihr noch was ein.
– Erinnern Sie sich an diese Frau in England, die sozusagen ihr Leben beziehungsweise ihr Sterben an die Medien verkauft hat?
– Ja.
Ich erinnere mich. Die Frau hieß Jade Goody. Bekannt wurde sie als Kandidatin einer Big-Brother-Show im britischen Fernsehen. Im August 2008 erfuhr die 27jährige vor laufender Kamera, daß sie an tödlichem Gebärmutterhalskrebs erkrankt war. Mit der exzessiven Vermarktung ihrer Geschichte soll sie bis zu ihrem Tod im März 2009 angeblich bis zu acht Millionen Euro eingenommen haben. Eine Art ganz besonderer Medienmarktpreis, denke ich.
– Das ist viel Geld.
– Ja, absurd viel. Aber sie sagte, daß sie das für ihre beiden kleinen Söhne gemacht habe. Das kann ich verstehen.
Sie schaut mich an.
– Sonst noch was?
– Äh …
Und während ich dann doch von meinen Knieschmerzen beim Joggen erzähle, knabbert mein Hinterkopf weiter an den besprochenen Fragen. Was ist meine Gesundheit wert? Und nebenbei frage ich mich, wie ich für meine Geschichte auch ein paar Millionen Euro bekommen könnte?
Die zweite Frage ist recht schnell geklärt. Am nächsten Tag rufe ich einen Freund an, der in der Buchbranche arbeitet, und frage ihn, was denn meine Geschichte, also meine Lebensgeschichte wert sein könnte. Er ist ein bißchen überrascht, sagt mir aber, daß die Bandbreite für Autobiographien ganz grob zwischen 10 000 und einer Million Euro läge. Ganz oben stünden berühmte Politiker, die dann aber auch ein paar Interna auspacken müßten. Ganz unten unbekannte Zeitgenossen, die zwar niemand kennt, die dafür aber etwas Außergewöhnliches erlebt haben. Ich, so deutet er vorsichtig an, würde vermutlich nicht einmal ganz unten stehen. Meine Autobiographie wäre zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht gefragt. Vielleicht in zehn Jahren, sagt er, noch bevor er auflegt. Es soll nett klingen.
37.
Ökonomie ist angewandte Ethik.« Und ein Lebensjahr ist zwischen 50 000 Euro und 100 000 Euro wert.
Ein Gespräch mit dem Gesundheitsökonomen Friedrich Breyer
Einer, der sich zu dem Thema Rationierung im Gesundheitswesen eindeutig äußert, ist der Gesundheitsökonom Professor Friedrich Breyer aus Konstanz, auf den ich in einem Zeitungsartikel stoße. In diesem verlangt er vom Staat eine Antwort auf die Frage: »Wieviel ist uns ein Menschenleben wert?« Denn »der Staat fällt regelmäßig Entscheidungen, die die Gesundheit und das Leben von Menschen betreffen. Da ist es doch besser, er legt seine Kriterien für die Entscheidung offen.«
Breyer ist stellvertretender Sprecher des Fachkollegiums Wirtschaftswissenschaften der Deutschen Forschungsgemeinschaft , stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit und Forschungsprofessor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich denke, er könnte mir weiterhelfen.
Ob wir mal reden könnten, frage ich per Mail. »Gern« ist seine schnelle Antwort. Dazu schickt er mir aus seinem Standardwerk Gesundheitsökonomik das Kapitel »Zur ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit«. Klingt interessant, liest sich für ökonomische Laien aber sehr kompliziert. Recht häufig tauchen Begriffe wie »Geldeinheiten« und »geldwerter Nutzen« auf, dann kommen
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