Was bin ich wert
nachzuvollziehen.
Breyer und viele seiner Kollegen verlangen, daß einem QALY für eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung wie in England auch in Deutschland ein Geldwert zugeordnet wird. Dasheißt, daß prinzipiell vor einer Behandlung eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung angestellt wird, indem das zu investierende Geld (die Behandlung beziehungsweise Operation) in Relation zu dem zu erwartenden QALY -Gewinn (prognostizierte »qualitätskorrigierte« Restlebenszeit) gesetzt wird. Der dabei ermittelte Euro-Wert pro QALY darf dann die festgelegte Summe nicht überschreiten. Ältere Patienten wären dabei benachteiligt, weil ihre Rechnung aufgrund der geringeren Restlebenszeit tendenziell schlechter ausfällt, so daß sich Investitionen in ihre Gesundheit in der Regel weniger lohnen.
– Diese Kosten-Nutzen-Analysen, die Sie sich wünschen, sind also eine Kombination aus dem QALY -Konzept und dem Wert eines statistischen Lebens?
– Ja. Es ist reizvoll, QALY s mit der Zahlungsbereitschaft, also dem Wert eines statistischen Lebens zu kombinieren. So bekommt man für jede Investition eine Maßzahl, nämlich »Kosten pro QALY «. In Deutschland könnte der Wert zwischen 50 000 Euro und 100 000 Euro liegen.
– Also wesentlich höher als in Großbritannien.
– Na ja. Bei der Umrechnung 30 000 Pfund in Euro kann es erhebliche Schwankungen geben. Außerdem ergibt sich der Schwellenwert des NICE auch aus der zur Verfügung stehenden Summe. Und die Briten investieren nur sieben Prozent ihres Bruttosozialprodukts in die Gesundheit, bei uns sind es zehn. Da darf man sich nicht wundern. Auf jeden Fall bringt so ein Wert Transparenz und führt zu rationaleren Entscheidungen. Wenn man sich davor drückt oder das als unethisch abtut, vergibt man sich die Möglichkeiten zu Verbesserungen.
»Verbesserungen« für die Gemeinschaft, wohlgemerkt, nicht für den einzelnen notleidenden Patienten. Es wird Zeit, auf den Punkt zu kommen.
– Was ist ein Menschenleben wert?
– Zur Beantwortung dieser Frage kann man die Zahlen aus Untersuchungen zum Wert eines statistischen Lebens heranziehen.
Okay. Das kenne ich von Spengler.
– Für den Wert des Lebens gibt es kein objektives Maß, sondern nur Bewertungen, subjektive Zurechnungen. In den meisten aktuellen Studien liegt der Wert so bei fünf bis sechs Millionen Dollar.
Breyer bezieht sich wohl auf die vielfältigen US -amerikanischen Studien, nicht auf die zwei Millionen Euro Spenglers.
– Wie ausgereift sind die Methoden, mit denen das alles berechnet werden soll bzw. schon berechnet wird?
– Die Diskussion ist nicht abgeschlossen. Die Wissenschaft ist offen für neue Methoden. Das schreitet alles voran. Wir können nur über den aktuellen Stand reden.
– Reicht dieser aktuelle Stand denn aus?
– Es läßt sich doch nicht vermeiden, daß die Politik Entscheidungen über Leben und Tod trifft.
Ein beliebtes Argument der Ökonomen. Aber keine Antwort auf meine Frage.
– Nehmen Sie den Straßenbau: Die Tatsache, daß man sich weigert, menschliches Leben mit Geld zu bemessen, heißt noch lange nicht, daß man solche Entscheidungen vermeiden kann. Die werden doch so oder so getroffen. Man sollte das aber rational angehen und transparent machen. Und nicht von Fall zu Fall entscheiden, entweder nach Gusto oder Kassenlage. Diese Entscheidungen sollten auch stimmig sein. Man investiert vielleicht 100 000 Euro, um ein Leben im Gesundheitsbereich zu retten. Im Verkehrsbereich kann man das vielleicht schon für 10 000.
– Ist jeder gleichviel wert?
– Die kollektiv finanzierte gesetzliche Krankenversicherung muß jeden gleich behandeln. Das ist ein fundamentales Postulat der Solidarität.
Klingt gut.
– In der freiheitlichen Gesellschaft muß aber auch jeder zusätzliche Leistungen kaufen dürfen.
Klingt schon schwieriger. Wer es sich leisten kann, so lautet die Konsequenz, kauft die benötigte medizinische Leistungeben auf einem privatwirtschaftlichen Markt oder im Ausland, was sich im Grunde aber nur über eine Beschränkung der Reisefreiheit einschränken ließe.
– Ohne Polizeistaat kann man das nicht verhindern.
Aber einen Polizeistaat will auch Breyer nicht. Er schaut auf die Uhr. Gleich muß er ein Stockwerk höher einen Vortrag über die Bekämpfung von Altersarmut halten. Er will noch mal klarstellen:
– Rationierung ist keine Vorenthaltung. Man kann nur etwas vorenthalten,
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