Was bisher geschah
missionarische Eifer des Christentums, nun gepaart mit Nationalismus, Rassismus und Sozialdarwinismus im Sinn von Herbert Spencer (1820 – 1903). Dieser überträgt die biologische Lehre vom »survival of the fittest« auf soziale Systeme und wird dafür in manchen Kreisen wie ein Star gefeiert.
In den Kolonien entwickelt sich ein imperialistisches System von Marionettenregimen und Stellvertreterkriegen, das Großmächte noch im nächsten Jahrhundert prägen wird. Dieses System trägt dazu bei, dass die Londoner Regierungen des British Empire, obwohl die Bevölkerung nur zu einem Zehntel aus dem Mutterland Großbritannien stammt, viel größere Länder kontrollieren können. Dabei erfolgt die Kolonialisierung der größten Kolonie, Indien, zunächst durch ein Privatunternehmen, die 1600 gegründete East India Company . Wie ein eigener Staat kauft die Handelsgesellschaft, ausgestattet mit eigenen Diplomaten, Truppen, eigener Währung und sogar Flagge, einzelne indische Fürsten: Man bewaffnet ihre Armeen, schult sie und lässt sie andere Fürstentümer des Subkontinents erobern. Eine Meuterei solcher Truppen im Sepoy-Aufstand von 1857 (benannt nach den indischen Kolonialsoldaten) lässt die britische Regierung brutal niederschlagen. Sie löst auch die mächtige Ostindische Kompanie auf und setzt den letzten Großmogul ab. 1876 wird die britische Königin Victoria Kaiserin von Indien.
Ein besonders schlagendes Beispiel für den Imperialismus und die Doppelmoral im sittenstrengen Viktorianischen Zeitalter ist der Opiumhandel. So fördert England den Handel mit Opium aus Indien nach China, der Millionen von Chinesen süchtig macht. Als der chinesische Kaiser den Import verbietet, führt Großbritannien zwei Opiumkriege (1839 – 1842, 1856 – 1860), um den sogenannten Freihandel durchzusetzen. Nach dem Sieg samt Plünderung des Kaiserpalastes in Peking durch englische und französische Truppen wird China eine Art Halb-Kolonie. Es wird zwar nicht ganz aufgeteilt, muss aber Gebiete wie Hongkong an das Ausland abtreten und verliert die Kontrolle über Häfen.
Damit nicht genug: Ab Mitte des Jahrhunderts wird China von einem Bürgerkrieg zerrüttet, bei dem rund 20 Millionen Menschen sterben – mehr als später im gesamten Ersten Weltkrieg. Auslöser ist der christlich-kommunistische Taiping-Aufstand (taiping = »höchster Friede«). Der Anführer Hong Xiuquan (1814 – 1864) hält sich für den jüngeren Bruder Christi. Er verteufelt die aus seiner Sicht ausländischen mandschurischen Qing-Herrscher aus dem Nordosten Chinas, will die konfuzianischen Hierarchien schleifen und ein Himmelreich auf Erden errichten. Er fordert Bauern zum Steuerboykott und Ungehorsam gegen Beamte auf – und verbietet seinen Leuten Alkohol, Tabak und Sex. Seine Armee wird erst 1864 beim Angriff auf Peking von kaiserlichen Truppen mit Unterstützung des britischen und französischen Militärs geschlagen.
Der zweite große Bürgerkrieg der Zeit findet in den USA statt. Anlass des Sezessionskrieges, dem bis heute größten Krieg auf US-Territorium mit rund 600 000 Toten, ist 1860 die Wahl des Republikaners Abraham Lincoln zum Präsidenten. Er ist gegen die Sklaverei. In Misskredit gerät die Sklaverei im Norden auch dank Onkel Toms Hütte (1852), des Bestsellers von Harriet Beecher-Stowe über das schlimme Los der Schwarzen; allerdings eignen sich Sklaven ohnehin nicht so gut für die Industrien des Nordens wie Lohnarbeiter. Unter der Führung von South Carolina spalten sich 1861 elf Südsaaten, deren herrschende Klasse von der Plantagenund Sklavenwirtschaft lebt, von den USA ab. Sie bilden die Konföderierten Staaten von Amerika. Auch nach Ende des Krieges zwischen Norden und Süden (1861 – 1865), der Wiedervereinigung und der Abschaffung der Sklaverei bleibt das Land ökonomisch wie kulturell zerrissen, in vieler Hinsicht bis heute.
Den Aufstieg der Ex-Kolonie USA zur Kolonialmacht behindert das allerdings nicht. So entsteht eine zukunftsträchtige Variante des Kolonialismus, bei der man Befreiungsbewegungen unterstützt und sich politischen und ökonomischen Einfluss sichert. Schon zwischen 1810 und 1825 vertreiben in Lateinamerika die Kreolen, die Nachkommen weißer, meist spanischer Siedler, die Spanier als Kolonialmacht, halten aber an der Unterdrückung der Indianer und an der Sklaverei fest. Die einzige Republik Lateinamerikas, die aus einem Sklavenaufstand hervorgeht, ist Haiti; sie wird 1804 unter Jean-Jacques Dessalines
Weitere Kostenlose Bücher