Was bisher geschah
Pfirsichkörben spielen. Der erste Fußballverein wird mit dem FC Sheffield 1857 in einer englischen Industriestadt gegründet: Durch Regeln vor Verletzungen geschützt, die ihre Arbeitsfähigkeit gefährden würden, treten Arbeiter nun in Vereine ein. Auch die Mittelklasse entwickelt ein Interesse am Amateursport. Im 17. und 18. Jahrhundert galt ihr Sport oft noch als dekadent, weil ihn Adelige von Dienern, frühen Profis, betreiben ließen und dann auch noch auf sie wetteten.
Im Alpinismus vereinen sich sportliche und touristische Interessen mit einer romantischen Sehnsucht nach der Natur. Gehen ab dem 18. Jahrhundert Privilegierte auf Bildungsreise, läutet Thomas Cook 1841 mit der ersten organisierten Bahnreise die Ära des Massentourismus ein. Man sucht Erholung und Erquickung beim Wandern und Reiten in der Natur, die den Menschen in den Jahrhunderten zuvor häufig noch unheimlich, zuweilen sogar feindlich erschien. Nun aber, vor dem Hintergrund düster rauchender Schlote, empfindet man sie als pittoresk und idyllisch. In der romantischen Musik (Schumann, Chopin, Wagner), Kunst (Runge, Friedrich, Turner) und Literatur (Keats, Shelley, Byron, Chateaubriand) fasst man Emotionales und Traumhaftes als Ausgleich zum modernen Leben; zugleich wählen Romantiker moderne Stilmittel wie die Andeutung, Assoziation, das Fragmentarische. Auch der Sport hat diese zwei Seiten. Einerseits soll er durch die Einübung des Fairplays und den emotional erfahrenen und verinnerlichten Teamgeist zur umfassenden Läuterung und Persönlichkeitsbildung im romantischen Sinn beitragen. Zugleich spiegelt der Sport mit den Regeln, Rekorden und seiner Schnelligkeit den Wettbewerbsgeist und die Modernität der Industrialisierung wider. In diesem Sinn kann man den Sport als Romantik der Massen sehen, die sich weniger mit Kunst, Literatur oder Musik beschäftigen – auch wenn die Brüder Grimm mit ihren Kinder- und Hausmärchen immerhin die sogenannte Volkspoesie etablieren.
In Deutschland bekommt die volksromantische Facette des Sports allerdings schon früh einen merkwürdigen Beigeschmack. So schreibt »Turnvater« Friedrich Ludwig Jahn in seinem Standardwerk Die deutsche Turnkunst (1816) einerseits, der Sport solle »der bloßen einseitigen Vergeistigung die wahre Leibhaftigkeit zuordnen und im gesellschaftlichen Zusammenleben den ganzen Menschen umfassen und umgreifen«. Andererseits schwingt bei ihm eine gehörige Portion Chauvinismus mit, wenn er seine Anhänger zur Stärkung für den Freiheitskampf und die nationale Einigung Deutschlands turnen lässt. Als potentiell aufrührerisch werden Turnvereine in Zeiten der Restauration verboten. Doch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts schießt ihre Zahl in Deutschland in die Höhe, von rund 100 auf ein paar Tausend.
Die Romantik des Volkes wirkt bis heute nach. Von echten Sportstars kann man wohl erst in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts sprechen, als Boxkämpfe von Max Schmeling und Joe Louis im Radio übertragen werden und Fotos von Johnny Weissmüller, dem Weltrekordschwimmer und späteren Tarzan-Filmdarsteller, kursieren. So ist die Romantik des Volkes anders als die der Kunst am besten im 20. Jahrhundert dokumentiert. Wie manche Seiten der romantischen Kunst wird die Romantik des Volkes später von den Nazis missbraucht oder pervertiert.
Auch in England äußert sich der lebensreformerische Trend zur Fitness, Gesundheit und Reinheit in den dreißiger Jahren bei Verbänden wie der Women’s League of Health and Beauty in Form von Frischluftgymnastik in Reih und Glied. In Deutschland wird Derartiges allerdings vermehrt zum Wehrsport und rassistischen Kult der Stärke umgelenkt. Wollen die Nazis bei den Olympischen Spielen von 1936 die Überlegenheit arischer Athleten demonstrieren, blitzt die Romantik des Volkes im guten Sinn auf: Luz Long, der blonde deutsche Silbermedaillengewinner im Weitsprung, und Jesse Owens, der schwarze Konkurrent und Sieger des Wettbewerbs, schließen Freundschaft. Sie verärgern Hitler, indem sie sich Arm in Arm zeigen und inmitten der ideologischen Verblendung die völkerverbindende Sportsfreundschaft vorleben.
Langfristig liefert die Romantik des Volkes symbolhaltige, komplexe und emotional glaubwürdige Bilder und übernimmt damit Funktionen der Kunst. So nutzen die schwarzen US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos die Siegerehrung bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko, um auf dem Podest stehend die geballte Faust zum »Black Power«-Gruß
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