Was bisher geschah
zu heben und medienwirksam für die Gleichberechtigung der Schwarzen zu demonstrieren. Im 21. Jahrhundert gibt es unpolitische Ausläufer wie Zinedine Zidanes – unterschiedlich interpretierten – Kopfstoß gegen den niederträchtigen italienischen Gegenspieler mitten im Sommermärchen der WM 2006. Auch in Sportkommentaren lebt die Volkspoesie in abgeschwächter Form weiter. Hatte man Arthur Friedenreich, den brasilianischen Fußballstar der zwanziger Jahre, »Pé de Ouro« (Goldfuß) und »König des Fußballs« genannt, schwingt in Zeiten der Kommerzialisierung bei romantischen Spitznamen wie »Titan«, »Kaiser Franz« und »Dirkules« (Dirk Nowitzki) mehr Ironie mit.
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Miss Nightingale im Lazarett in Scutari, Holzstich, 1879. Florence Nightingale wurde auf zeitgenössischen Gemälden auch als schöne Heilige verewigt, später in Denkmälern und auf Briefmarken.
Schon im 19. Jahrhundert verleiht man romantische Spitznamen allerdings auch an neue Heroen jenseits des militärischen Feldes, die sich im echten Leben bewähren. Ein berühmtes Beispiel ist die englische Krankenpflegerin Florence Nightingale, der man später ein Denkmal setzt (1820 bis 1910). Sie drückt im Krimkrieg (1853 – 1856) die Sterblichkeit in Lazaretten in wenigen Monaten von rund 40 Prozent auf zwei Prozent, indem sie mit 38 Krankenschwestern inmitten von Cholera, Typhus und Ruhr lüftet, putzt, wäscht und Geräte sterilisiert. Wegen ihrer unermüdlichen Nachtarbeit wird sie »The Lady with the Lamp« (Die Lady mit der Lampe) genannt und auch mal »ministering angel« (etwa: betreuender Engel).
Nightingales Buch Notes on Nursing wird zum Standardwerk; sie ist ein Pionier im Gebrauch von Statistiken und Grafiken bei Vorträgen, mit denen sie Entscheidungsträger von ihrer Sache überzeugt. Dass Leute wie Nightingale und Henri Dunant, Gründer des Roten Kreuzes (1863), aktiv werden, dazu tragen wiederum Journalisten wie der Times -Reporter William Howard Russell bei, der die unabhängige Kriegsberichterstattung revolutioniert. Mit Reportagen aus dem Krimkrieg über selbstmörderische Angriffe britischer Truppen auf die russische Festung in Sewastopol rüttelt er die Öffentlichkeit zu Hause auf, was zur Kritik an den Befehlshabern führt.
Derartige Berichte sind umso wichtiger, als die Fotografie durch Louis Jacques Daguerre ab 1839 zwar Verbreitung findet, aber aufgrund der langen Belichtungszeit nicht direkt von aktionsreichen Ereignissen zeugen kann. So spielen weiterhin Kriegszeichner eine wichtige Rolle. Zu Hause und in Friedenszeiten dokumentieren in der ersten Hälfte des Jahrhunderts noch Zeichnungen wie jene von Gustave Doré über Londoner Elendsviertel das Leben zusammengepferchter Stadtbewohner, später auch Fotos. Manchester, das Zentrum der Industriellen Revolution, wächst zwischen 1770 und 1850 von rund 20 000 auf 300 000 Einwohner an. So sterben viele an Vergiftungen durch verseuchtes Trinkwasser. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts bieten Filteranlagen mehr Sicherheit. Und ab Mitte des Jahrhunderts geht in den industrialisierten Ländern die Geburtenrate zurück, dann aber stärker noch die Sterblichkeit.
Globale Ungleichzeitigkeit: Kolonien, Ex-Kolonien, Halb-Kolonien
Betrachtet man die zwei mit jeweils über 400 Millionen Einwohnern größten Weltreiche gegen Ende des 19. Jahrhunderts, das British Empire und das Chinesische Kaiserreich, fällt auf, dass Großbritannien ökonomisch und militärisch dominiert. (Zum Vergleich die nächstgrößten Reiche: Russisches Reich mit rund 160 Millionen Einwohnern, USA 100 Millionen.) Beispielhaft wird die Dominanz des britischen Empire bei der ersten Weltausstellung 1851 in London demonstriert. Während es in Joseph Paxtons Kristallpalast aus Indien etwa einen ausgestopften Elefanten zu sehen gibt, zeigen die Industrienationen neueste technische Errungenschaften.
Eine globale Übermacht Europas zeichnet sich allerdings nicht erst mit der Industriellen, sondern schon seit der militärischen Revolution ab dem 15. Jahrhundert ab, die verbesserte Befestigungen bringt, Musketen, Kanonen, Logistik und Drill. Beschleunigt wird diese Revolution durch die Bereitschaft, überproportional viel Geld für das Militär auszugeben, horrende Schulden dafür zu machen wie die Habsburgerkaiser bei den Fuggern. Mit der Industrialisierung geht der Wunsch einher, in aller Welt Rohstoffe und neue Absatzmärkte zu erschließen. Als Katalysator für den Imperialismus wirkt zudem der
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