Was bisher geschah
wandert Mohammed im Jahr 622, als ihn politisch-religiöse Gegner bedrohen, nach Medina aus, wo er konkrete Pläne hat. Mit dieser Auswanderung (Hedschra) beginnt die islamische Zeitrechnung. In Medina gründet er einen Staat, der auf den fünf »Säulen« des Islam steht: Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Pilgerfahrt nach Mekka und Almosengeben beziehungsweise Zahlung einer Steuer, um Allah ein »Darlehen« zu geben (Suren 73,20; 2,277).
Die Motivation, für den Islam zu kämpfen, basiert auch auf der muslimischen Paradiesvorstellung. Sie ist im Koran konkreter als in der Bibel – etwa mit dem Hinweis auf »Gärten mit Quellen« (Sure 44,52), wunderbar bequemen Seiden- und Brokatgewändern (Sure 44, 53) und Huris (Mädchen), die man als Partnerin bekommt (Sure 44, 54). Bis heute wird darüber gestritten, ob die kriegerischen Stellen im Koran plastischer formuliert sind als jene in der Bibel und deshalb eine metaphorische Lektüre erschweren, ein rein bildhaftes Verständnis, das keine realen Gewalttaten nach sich zieht. Der Streit ist alt, einer seiner frühen Protagonisten ist der spanisch-arabische Gelehrte Averroes (Ibn Ruschd). Er diskutiert im 12. Jahrhundert die mehr oder weniger bildhaften Ebenen des Verständnisses des Korans – und wird dafür angegriffen.
Jedenfalls ist der mehrmals verheiratete Mohammed im Vergleich zu Jesus eine historisch fassbare Person. Anders als Jesus ist er kein unbedingt pazifistischer, berufsloser, die Welt verleugnender, enthaltsamer, im tragischen Scheitern Erhöhter, sondern ein Händler, Herrscher und Heerführer. Bis zu seinem Tod im Jahr 632 gebietet Mohammed über weite Teile Arabiens. Der zweite Kalif (arab. »Nachfolger«) Omar I. begründet das Weltreich der Araber, indem er Jerusalem erobert, wo der Felsendom als eines der islamischen Hauptheiligtümer erbaut wird; dazu kommen Mesopotamien, Teile Persiens und Ägypten.
Die Dynastie der Omajjaden verbreitet den Islam bis nach Europa, im 9. Jahrhundert beherrschen Muslime das heutige Spanien. Das östliche Gegenstück zum spanischen Cordoba ist Bagdad, das unter den Abbasiden zur Hauptstadt wird und rund 500 Jahre das Zentrum des islamischen Orients bildet. Gegründet im 8. Jahrhundert vom Kalifen Mansur, erblüht es unter dem – in Tausendundeiner Nacht verewigten – Kalifen Harun ar-Raschid. Hier leben Syrer, islamisierte Perser und Juden zusammen. Bis ins 19. Jahrhundert findet ein reger Kulturaustausch mit dem Westen statt.
Eines der schönsten Zeugnisse der muslimischen Kultur in Europa ist die Alhambra, der im 14. Jahrhundert erbaute Palast der spanisch-arabischen Dynastie der Nasriden in Granada mit zahlreichen Pavillons, Säulenhallen, Höfen, Fayencemosaiken. Allerdings beginnt schon im 8. Jahrhundert die sogenannte Reconquista, die Rückeroberung Spaniens durch Christen vom Norden her. Sie wird 1492 abgeschlossen sein. Den ersten größeren Sieg im Rahmen der Reconquista fährt der Hausmeier (maior domus , Staatsverwalter) des Frankenreiches Karl Martell bereits im Jahr 732 ein. Man nennt ihn den »Hammer«, und tatsächlich schlägt er auf dem Gebiet des heutigen Frankreich ein muslimisches Heer. Der Kampf gegen die Muslime ist deshalb von historischer Tragweite, weil damit die längerfristige arabische Prägung Europas verhindert wird.
Very British: der keltisch-christlich-normannisch-französische Angelsachse
Insgesamt prallen zwischen dem 4. und dem 8. Jahrhundert n. Chr. in Europa ungewöhnlich viele Kulturen aufeinander. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung von Sprachen. Während sich ein einfaches Latein als Verkehrssprache ausbreitet, wird im »neuen Rom« Konstantinopel alias Byzanz Griechisch wieder zur Amtssprache. Andere Sprachen wie das Phönizische beziehungsweise Punische gehen verloren oder werden stark reduziert wie das Keltische oder verschmelzen mit anderen Sprachen.
Das ist grundsätzlich ganz normal. Auch von den rund 5000 bis 6800 Sprachen (samt Dialekten), die zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch existieren, könnten Schätzungen zufolge bis zum Jahr 2100 rund 50 Prozent oder mehr ausgelöscht sein. Doch stoßen die Sprachen und Kulturen in Zeiten der Völkerwanderung verglichen mit heute – auch mangels Wörterbüchern – mit größerer Wucht zusammen. Man kann sich das Chaos gar nicht mehr vorstellen, das geherrscht haben mag, wenn Gotisch sprechende Germanen Lateinisch sprechende Römer oder Arabisch sprechende Mauren in Spanien nach dem Weg fragen, sich aufgrund
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