Was bisher geschah
»Nicht-Ort«) geprägt hat, beschreibt er einen Idealstaat, der zunächst nur in der Vorstellung existiert. In diesem Staat gibt es kein Privateigentum. Gold, Edelsteine und prunkvolle Kleidung gelten als lächerlich. Schon Kinder werden dazu erzogen, die Fixierung auf Luxusgüter als Zeichen mangelnder Reife zu sehen. Stattdessen sollen sie lernen, die Schönheit der Natur, den Glanz der Sonne und der Sterne zu bewundern.
Solche Ideale sind schon damals utopisch. Schließlich beuten Europäer auf der Suche nach Gold, Edelsteinen und Sklaven brutal ganze Kontinente aus. 1492 hat Christoph Kolumbus auf der Suche nach dem Seeweg nach Indien versehentlich Inseln vor Amerika entdeckt, die er für Indien hält und die man deshalb Westindische Inseln nennt; und Amerigo Vespucci hat zwischen 1499 und 1502 das Festland erkundet, das man nach ihm Amerika tauft. Um 1500 beginnt mit der Neuzeit das »Zeitalter der Entdecker«, des Kolonialismus und der Abenteuerreisen in exotische, oft paradiesisch anmutende Länder.
Passend dazu umreißt Utopia ein Paradies, das säkular ist, weder religiös definiert wie im europäischen Mittelalter noch wie in Platons Staat abstrakt philosophisch. Morus’ Utopia ist eine Art basisdemokratischer Kommunismus. Es gibt eine vorbildliche Krankenversorgung und keine faulen Priester und Gutsherren. Nur echte Verbrecher werden versklavt, der Krieg gilt als letztes Mittel. In »naturhafte« Farben gekleidet, bildet sich jeder ständig – noch vor Sonnenaufgang – in Volkshochschulkursen fort. So protestantisch das klingt, so robust sinnlich schildert Morus verschiedene körperliche Vergnügen: etwa die Lust, die man hat, »wenn man den Darm entleert oder ein Kind zeugt oder einen juckenden Körperteil reibt oder kratzt«.
Ein derartiges Paradies auf Erden wäre im Mittelalter mit seinen jenseitsorientierten Erlösungsvorstellungen noch unerhört gewesen. In mittelalterlichen Werken griffen verschiedene Realitätsebenen noch natürlich ineinander – die des Menschen, der Engel und der Allegorie. Entsprechend erörterte man im sogenannten Universalienstreit theoretisch, ob allgemeine (universale) Begriffe und Ideen sozusagen auch real seien (Realismus), und nicht nur geistige Konstruktionen. Oder ob nur die spürbaren einzelnen Dinge real seien (Nominalismus). Typisch für die Neuzeit ist wiederum, wie Morus ironisch auf die realen Gefahren utopischen Wunschdenkens anspielt und Begriffe, Ideen und Utopien verstärkt auf ihre praktische Relevanz hin abklopft. Vermeiden will Morus denn auch die »theoretische Schulweisheit, die glaubt, alles passe an jedem Ort«.
In heutigen Worten geht es um die Praxistauglichkeit und Umsetzbarkeit der Utopie. Es geht um Zielgruppen – und eine frühe Medienkritik. Die Medienkritik gehört zur Medienrevolution, die im frühen 16. Jahrhundert ihren ersten Höhepunkt hat und mit der Reformation und gesellschaftlichen Veränderungen wie der Betonung des individualistischen Denkens einhergeht. Losgetreten wird die Revolution allerdings schon im 15. Jahrhundert. Johannes Gutenbergs Erfindung des Drucks mit beweglichen gegossenen Lettern um 1450 bewirkt eine Explosion des Buchmarktes.
Die Medienrevolution betrifft nicht nur die damals wichtigsten Schriftquellen, sondern auch die Bilder. Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts beeindruckt die Kunst mit einer lebensnahen Perspektive und neuen Themen. Im Mittelalter entfalten Massenmedien wie die Predigt und Ballade ihre Wirkung noch über Priester und fahrende Spielleute, die ihre Botschaft persönlich in einer Messe oder in einer Vorführung auf dem Marktplatz übermitteln. In der Neuzeit finden verstärkt Schrift- und Bildmedien Verbreitung. Die Medien ermöglichen einen freieren Meinungsaustausch, aber auch Missbrauch und Manipulation.
Machtpolitiker, PR-Künstler, Selfmademen
In der Malerei etabliert Masaccio (1401 – 1428) die konstruierte Zentralperspektive und rückt damit den Menschen ins Zentrum der Wahrnehmung. Wenn Donatello nicht nur seinen David (um 1430 – 1445) als erste frei stehende Aktfigur seit der Antike schafft, sondern um 1453 auch das erste Reiterstandbild seit der Römerzeit, das den Condottiere Gattamelata (ital. »gescheckte Katze«) zeigt, wird die Bedeutung der Kunst für die allgemeine Geschichte klar: Hier wird mit Gattamelata ein Söldnerführer, ein Aufsteiger und Selfmademan in der Art der antiken Reiterstatue des römischen Kaisers Marc Aurel auf Augenhöhe mit den altadeligen
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