Was bisher geschah
Zunge, stechen sich Dornen in den Körper, gerne auch in die Genitalien, um Blut für einige der fast 200 Götter verspritzen zu können. Als »Nahrung für die Götter«, die man vor dem Abmagern schützen muss, dienen auch Menschenopfer. Es sind meist Sklaven und Gefangene, darunter Kinder, denen das Herz herausgerissen wird, deren Körper verstümmelt und teils auch gegessen werden. Zur Beschaffung der zahlreichen Menschenopfer führen die Azteken sogenannte Blumenkriege gegen benachbarte Stämme, die weder territorialem Gewinn noch der wirtschaftlichen Schädigung des Gegners dienen.
Bei all der ungeheuren Grausamkeit sind die Geopferten bei den Azteken wenigstens Kriegsgefallenen gleichgestellt und gehen der aztekischen Überzeugung zufolge ins Paradies des Sonnengottes ein. Das unterscheidet sie von den Tausenden als Ketzer und Hexen Gefolterten und Verbrannten in Europa, denen nach dem Tod auch noch Höllenqualen drohen. Dennoch wird bei der Missionierung von Indianern durch christliche Orden ab dem 16. Jahrhundert einer der Ansatzpunkte außer Zwang, Einschüchterung und Bestechung eine gewisse Nähe aztekischer Strukturen zu christlichen sein. Dem europäischen Mittelalter ähnlich scheint auch die harte Behandlung, die man Kindern angedeihen lässt. Viele leben nicht bei der Familie, sondern spartanisch in einem Jugendhaus. Dort müssen sie frühmorgens Hymnen singen, das Kämpfen mit Schwertern erlernen und werden unter regelmäßigen Prügeln zum Arbeitsdienst abkommandiert, zu Reparaturarbeiten an Straßen oder Gebäuden.
Die aus heutiger Sicht fortschrittlichste der indianischen Hochkulturen ist jene der Inka, auch wenn sie nur eine Art Schrift mit geknoteten Schnüren haben (Quipus). Ihr Reich umfasst das heutige Peru, Teile Boliviens, Ecuadors, Kolumbiens und Chiles und ist so groß, dass es die Inka das »Reich der vier Weltgegenden« nennen. Im Rückblick scheint bemerkenswert, dass die Inka schon im Mittelalter eine Art Staatssozialismus etablieren – der später gelegentlich romantisiert wurde. Auch das einfache Volk erhält eine Alters- und Krankenversorgung, in Notzeiten speist man Hungernde aus Vorratshäusern. Erkauft werden diese Errungenschaften allerdings dadurch, dass Bauern ein Drittel ihrer Erträge an die Priesterschaft abgeben müssen. Ein zweites Drittel geht an den König, der damit Handwerker und Bergarbeiter der Gold-, Silber- und Kupferminen entlohnt. So ist das Inkareich eine Mischung aus Staatssozialismus und Gottesstaat. Ist »Inka« ursprünglich der Name des Königs, wird er nach und nach auf das Volk ausgeweitet. Einen privilegierten Umgang mit ausgewählten Tempeljungfrauen hat allerdings nur der Inka.
Die Großreiche Schwarzafrikas – und die ersten globalen Rohstoffmärkte
Der Vergleich zwischen südamerikanischen und nordamerikanischen Indianern zeigt, wie wichtig eine tendenziell zentralistisch ausgelegte Religion beziehungsweise Verwaltung für die Gründung von Hochkulturen und von langlebigeren Großmächten ist. Wenig ausgeprägt scheint dieses Element im Mittelalter außer in Nordamerika noch in Australien und Afrika. Dominieren in Nordamerika und Australien Stammeskulturen, entwickeln sich im mittelalterlichen Afrika allerdings beide Varianten: dezentral organisierte Stammeskulturen und zentralistische Hochkulturen.
Die zwei bekannteren afrikanischen Hochkulturen Ägypten und Äthiopien sind im Unterschied zu den anderen Gegenden Afrikas schon früh vom Islam und Christentum geprägt. Nachdem Augustus das alte Ägypten 30 v. Chr. zur römischen Provinz macht, es im 4. Jahrhundert n. Chr. als Teil des Oströmischen Reiches christianisiert wird, fallen im 7. Jahrhundert Araber ein. Das Land wird islamisch, hat im Hochmittelalter ein eigenes Sultanat und wird im 16. Jahrhundert von den Osmanen erobert. Das Königreich von Aksum mit seiner gleichnamigen Hauptstadt im heutigen Äthiopien wird wohl im 4. Jahrhundert christlich. Es ist eine Drehscheibe für Waren wie Sklaven, Elfenbein, Hörner und Obsidian. Diese werden aus dem Landesinneren an die Küste transportiert und schließlich nach Arabien und ins Römische Reich exportiert.
Auf dem Rest des Kontinents beziehungsweise in Schwarzafrika findet sich eine Ausnahme von den insgesamt kleinteiliger organisierten Jäger- und Sammlerkulturen auf dem Gebiet des heutigen Mali und Mauretanien. Dort entwickelt das Volk der Soninke einen Zentralstaat, dessen Grundlage der Reichtum an Gold ist. Schon im 8.
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