Was bisher geschah
wird dafür hingerichtet. Ähnliches geschieht in Münster. Dort will man unter der Führung von Jan van Leiden ein Neues Jerusalem schaffen und die Bevölkerung, mehrere Tausend Menschen, von wenigen Häusern aus bewirten. Die Anregung dafür könnte die biblische »Speisung der Fünftausend« sein (Mt. 14,16-21), bei der alle auf Jesu Geheiß zusammenlegen, damit die Gemeinschaft satt wird. Am Ende werden die Wiedertäufer in Münster von bischöflichen Truppen geschlagen, gefoltert, getötet und ihre Leichname in Käfigen an der Lambertikirche aufgehängt und zur Schau gestellt.
In Tirol versucht Michael Gaismair, ein Anführer in den Bauernkriegen, um 1525 die Utopie eines christlich-demokratischen Bauernstaates zu verwirklichen. Ingesamt sind die Forderungen der armen Landbewohner gemäßigt im Vergleich zu jenen der Wiedertäufer, radikaler allerdings als die von Luther. Dieser schlägt sich am Ende als Gegner der aufbegehrenden Bauern auf die Seite der Mächtigen. Die Bauern wollen eine freie Pfarrerwahl, Rechtsgleichheit, kommunale Waldnutzung, Aufhebung der Leibeigenschaft und der aktuell verschärften Abgaben und Frondienste. Als schließlich der Schwäbische Bund die von Florian Geyer und Götz von Berlichingen geführten Bauerntruppen besiegt, werden Tausende niedergemetzelt.
Die Schweizer Weltrevolution: der innere Schweinehund und das Leistungsdenken
Obwohl die Ansätze zur reformatorisch motivierten Bauernbefreiung und zum Aufbau von Wiedertäufergemeinden im Keim erstickt werden, setzen sich weniger radikale Varianten davon langfristig und mit globaler Wirkung durch. Zu nennen sind unter anderem die Mennoniten und Amischen, die »Amish People«, später auch die Quäker. Sie wandern von Europa nach Amerika aus und gründen dort basisdemokratische, pazifistische Gemeinden und werden Vorkämpfer der Sklavenbefreiung. Politisch einflussreicher ist allerdings die reformatorische Gemeinschaft der Puritaner. Sie segeln 1620 als »Pilgerväter« auf der Mayflower von England nach Amerika, um den Einschränkungen zu Hause zu entgehen und ihr gelobtes Land in der Neuen Welt zu finden. Dort etablieren sie eine strenge, auf Leistungsethos gepolte Variante der Reformation und prägen damit die USA und die Welt bis heute.
All diese Bewegungen sind eher durch die Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin geprägt als durch Luther, von dem diese wiederum ihre Anfangsimpulse erhalten. So bahnt sich, während auf dem deutschen Reichsgebiet ein reformatorisch inspirierter Kommunismus von einem lutherisch gestützten Feudalismus besiegt wird, in der Schweiz eine protestantische Weltrevolution an. Sie wird den Feudalismus nicht ganz überwinden, aber geschickt abwandeln und einschränken. Sie gelangt in Richtung Westen über die Niederlande, Schottland und England nach Nordamerika und wird von dort in den kommenden Jahrhunderten immer stärker zurückstrahlen. Die Revolution ist ein protestantisch befeuerter Kapitalismus. Der frühneuzeitliche Berufsrevolutionär, der den Motor anschmeißt, stammt aus Frankreich und heißt Johann Calvin (1509 – 1564).
Die Grundlagen für Calvins Wirken werden in der Schweiz insofern früh gelegt, als hier eine eigene, von anderen Großmächten unabhängige Kultur entsteht. Revolutionär sind in der Schweiz schon die Eidgenossen, die ab dem 13. Jahrhundert gegen die Herrschaft der Habsburger ankämpfen und sich dabei im 14. Jahrhundert auf den legendären Wilhelm Tell berufen. Den Übergang bei den schweizerischen oder schweizerisch geprägten Reformatoren von einer karitativen Versorgungsgemeinschaft im Sinn der Wiedertäufer zur Betonung des Effizienzdenkens kann man bei Ulrich Zwingli (1484 – 1531) sehen. In Zusammenarbeit mit der Züricher Obrigkeit und dann mit Landgraf Philipp von Hessen lässt er Klöster in Heilanstalten umwandeln, aber auch Feiertage einschränken und zeitweise das Orgelspiel abschaffen. In Genf geht Calvin einen Schritt weiter. Unterscheidet er sich wie Zwingli theologisch von Luther darin, dass er die Anwesenheit Christi beim Abendmahl als nur symbolisch sieht, ist viel wichtiger, dass Calvin eine religiös motivierte und politisch wirksame Ideologie mit auf den Weg bringt, in der vor allem die persönliche Leistung zählt. In seinem Gottesstaat im Genf der 1540er Jahre ist die weltliche Macht zeitweise praktisch jener der Pastoren und Ältesten (Presbyter) unterstellt. Verboten sind unter anderem Prostitution, Tanz, Glücksspiel, Lieder,
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