Was bisher geschah
Heiligenverehrung, Theater, übermäßiger Schmuck und extravagante Mode. Die Unterbindung von Korruption und Faulheit und umgekehrt die Erlaubnis, Kredite zu vergeben, steigern die ökonomische Effizienz; dabei lautet die offizielle Forderung durchaus, dass die Zinssätze moderat sein sollen, fünf bis sechs Prozent, um notleidende Kreditnehmer nicht über Gebühr zu belasten.
Eine besondere Qualität der Genfer Bestrebungen ist eine Art innere Motivation und Kontrolle, wie sie der Kommunismus nie richtig erreichen wird und wie sie dem Katholizismus zunehmend abhandenkommt: Calvins Lehre der Prädestination wird ausgebaut und mit wirtschaftlichen Aspekten in Verbindung gebracht. Aufgrund der Lehre von der Vorbestimmung verzichten die Menschen nicht etwa, wie man erwarten würde, auf jede Anstrengung, weil ohnehin alles vorgezeichnet ist und von der Gnade Gottes abhängt. Vielmehr versuchen sie sich selbst als Auserwählte zu definieren, indem sie die äußeren Anzeichen dafür schaffen: durch ein gottesfürchtiges, fleißiges Verhalten und einen vermeintlich gottgewollten Wirtschaftserfolg. Das fördert die Eigeninitiative, wie man heute sagen würde.
Zwar ist es kaum möglich, ein genaues Wechsel- oder gar Kausalverhältnis zwischen Prädestinationslehre und Leistungswillen festzulegen. Doch führt die neue Lehre im einzelnen Gläubigen zum Aufbau einer Art inneren Controlling-Abteilung, die zugespitzt gesagt neben der Ausprägung eines neuzeitlichen Individualismus im 16. Jahrhundert eine zweite große mentalitätsgeschichtliche Veränderung im ausgehenden Mittelalter bedeutet. Die calvinistische Konstruktion ist als ideologischer Antrieb für den Kapitalismus insofern wichtig, als der auf einer an sich eher unchristlichen, sündigen Geldgier beruht und also gut eine religiöse Verbrämung vertragen kann. Auf diesen Zusammenhang hat der Soziologe Max Weber in Die protestantische Ethik und der ›Geist‹ des Kapitalismus (1920) hingewiesen. Er erinnert auch an Luthers Definition des Berufes als quasi göttlicher Berufung , womit die Arbeit, die bis zum Mittelalter ein Zeichen für ein sklavenartig armseliges Leben war, zum Kult wird. Ferner zitiert Weber den amerikanischen Staatsmann Benjamin Franklin mit seiner Geschäftspredigt, wonach »Zeit Geld ist« und »Geld von einer zeugungskräftigen und fruchtbaren Natur ist« (aus: »Advice to a young tradesman«, 1748).
Im Rückblick scheint es kurios, dass die Reformation sowohl kommunistische als auch kapitalistische Tendenzen motiviert. Welch merkwürdige Formen calvinistische Lehren noch im 21. Jahrhundert annehmen können, lässt sich an populären amerikanischen Varianten wie dem »New Calvinism« ablesen. In Megachurches , die Sportarenen ähneln, werden heute Tausende mit propagandistischen Mitteln, mit Musik und Multimedia gegen Sex vor der Ehe, Darwins Abstammungs- und Evolutionslehre und andere vermeintliche Sünden eingeschworen. In ihrem Aufruf zur Selbstbeschränkung und zugleich zum materiell ausgerichteten Erfolgsstreben wirken die Predigten oft wie Motivationsseminare. Dank Spenden, Buch- und DVD-Verkäufen werfen sie ähnlich viel Geld für die Prediger ab wie rein wirtschaftlich aufgezogene Motivationsveranstaltungen für Trainer oder Coaches.
Der Kampf der Konfessionen – Spanien, die Gegenreformation und die Geburt der Propaganda
So jung, dynamisch und erfolgreich der Protestantismus im 16. Jahrhundert schon sein mag – die Macht der Katholiken ist nach wie vor beträchtlich. Während der Reconquista, der Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den Muslimen, die vom 8. Jahrhundert bis zur Einnahme des letzten maurischen Königreiches Granada im Jahr 1492 dauert, formieren sich zukünftige katholische Großmächte. Die wichtigsten sind Spanien und Portugal. Portugal wird von Alfons I. im 12. Jahrhundert zum Königreich gemacht, indem er die Mauren aus Lissabon verjagt. Der Grundstein für den spanischen Gesamtstaat wird 1469 mit der Hochzeit von Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon gelegt.
Einen Schub erhält Spanien durch Karl I., den Sohn von Isabellas und Ferdinands Tochter Johanna der Wahnsinnigen und dem Habsburger Philipp dem Schönen. Denn er kommt in Kastilien und Aragon an die Macht und wird 1519 als Karl V. zum deutschen König gewählt und somit zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Unter Karl V. erobern Konquistadoren wie Cortés und Pizarro goldreiche südamerikanische Gebiete
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