Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was bisher geschah

Was bisher geschah

Titel: Was bisher geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loel Zwecker
Vom Netzwerk:
Holzschnitten wahrscheinlich bekannter als das vieler Könige und Kaiser.

     
    Bild 4
    Der Bapstesel, reformatorisches, antipäpstliches Spottblatt, Holzschnitt, 1525
    In der Stichserie Passional Christi und Antichristi (1521) stellt Lucas Cranach d. Ä. die Fußwaschung Christi dem vom Papst geforderten Fußkuss gegenüber, um die Entfernung des dekadenten Pontifex von den Lehren der Bibel, ja von Jesus Christus selbst hervorzuheben. Seit dem 15. Jahrhundert verbreiten Hussiten und Reformatoren antikatholische Stiche und Holzschnitte, in denen schreckenerregende Teufel und Monster Mönche und den Papst angreifen oder manipulieren. Der Nachfolger Petri wird teils auf derbe Weise als Antichrist, als Puppe oder als Esel karikiert. Während man sich in Rom darüber streitet, wie viel Nacktheit bei Michelangelos Figuren auf den Fresken in der Sixtina erlaubt sei – die auf Beschluss des Konzils von Trient (1545 – 1563) nachträglich Kleidung über ihre nackten Körper gemalt bekommen -, stellen protestantische Künstler sogar den Papst selbst mit entblößten Brüsten dar.
    Ist die katholisch-neoplatonische Kunst der italienischen Renaissance ein avantgardistischer Ausdruck des neuzeitlichen Individualismus, kann man die reformatorisch-volkstümlichen Bilder – die aus heutiger Sicht teils an den Surrealismus erinnern – als Vorläufer einer subkulturellen Kunst der Moderne sehen. Hier bringen historisch vielleicht zum ersten Mal Unterprivilegierte ihren Unwillen gegen die Obrigkeit in Kunstwerken zum Ausdruck. Wenn sich diese neuartig gesellschaftskritische Kunst eher in Grafiken und Karikaturen niederschlägt als in Malereien und Plastiken, prägt sich auch das kuriose Spannungsverhältnis zwischen Hochkunst und populärer Gebrauchskunst aus, das bis ins 20. Jahrhundert währt.
     
    Derartige Kategorien werden erst mit der nächsten großen Medienrevolution 500 Jahre später aufgelöst. Sie umfasst Fernsehen und Internet, die dann ähnlich neu sind wie in der Renaissance das perspektivische Gemälde und das gedruckte Buch. So wie sich die Vorstellung von Kreativität ab dem 15. Jahrhundert langsam weg von Gott als großem Erschaffer auf Wissenschaftler und Künstler wie den »göttlichen Michelangelo« verlagert, so verschiebt sich nun die Vorstellung weg vom Künstler beziehungsweise der Malerei und Skulptur hin zu neuen Medien und Berufsgruppen. Und so wie die Medienrevolution zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch keine tiefgreifenden politischen Veränderungen bewirkt, finden diese auch in der frühen Neuzeit nicht so sehr im 15. Jahrhundert statt – sondern im Lauf des 16. Jahrhunderts.

KAPITEL NEUN
     
    Frühe Global Player und die Geburt der Dritten Welt
     
    Das 16. Jahrhundert: religiöse Spaltung, nationale Einheit, Kapitalismus und Kolonialismus
     
     
    Zwar erhebt Martin Luther keine direkt politischen Forderungen, doch sind die Auswirkungen der Reformation, die er mit seinen 95 Thesen 1517 medienwirksam in Gang bringt, tiefgreifend und umfassend. Die Bandbreite der Nachfolgeprojekte reicht von kurzlebigen kommunistischen Gottesstaaten über langlebigere kapitalistische bis hin zur Entwicklung von Nationalkulturen, die dem älteren katholisch definierten Anspruch auf Weltherrschaft entgegenstehen. Mit reformatorischen Gedanken einher geht die Förderung so unterschiedlicher, teils widersprüchlicher Dinge wie unerbittlichem Leistungsdenken und Basisdemokratie, Religionsfreiheit und Lust- und Lebensfeindlichkeit, Forschertrieb und Moralismus.
    Einer der Ableger der Reformation sind die – von ihren Gegnern polemisch so genannten – Wiedertäufer. Sie formieren sich zunächst in der Schweiz, dann in ganz Europa. Die Wiedertäufer wollen grundsätzlich die Erwachsenentaufe statt der Kindertaufe, weil sie für die freie Entscheidung sind. Sie bevorzugen tendenziell die Lehre der Bergpredigt, in der Jesus den Verzicht auf Gewalt betont: »Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben« (Mt. 5,5). Hier wird nicht nur die Nächstenliebe hervorgehoben, sondern auch das Streben nach Besitz relativiert: »Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie« (Mt. 6,26).
    Die Bibel als Inspiration für einen Urkommunismus: An mehreren Orten sprießen kurzzeitig utopische Gemeinden. In Thüringen strebt Thomas Münzer um 1525 eine Gesellschaft mit Gütergemeinschaft und absoluter Gleichheit an und

Weitere Kostenlose Bücher