Was bisher geschah
Außenpolitisch bedeutet es die Etablierung Englands als Weltmacht. Unter Elisabeth schlagen die Engländer 1588 die spanische Armada, die Invasionsflotte, die nach der Hinrichtung Maria Stuarts zur Verteidigung katholischer Interessen ausläuft, mit Hilfe eines Sturmes, der die spanischen Schiffe zum Kentern bringt. Innenpolitisch verbindet man mit dem Elisabethanischen Zeitalter immerhin Programme zur Beschäftigung Arbeitsloser und zur Armenpflege: Mit dem Poor Law , dem Armengesetz, schafft Elisabeth einerseits eine Grundversorgung und begründet im weitesten Sinn die Idee des Sozialstaates in England. Andererseits dienen die Gesetze der Kontrolle von Bettlern und Vagabunden, die zur Arbeit verpflichtet werden, von Overseers of the Poor (»Armenaufseher, Armeninspekteure«) überwacht und gegängelt werden.
Der Film Elisabeth (1998) von Shekhar Kapur vermittelt mit seinen Kostümen und Kulissen eindrücklich die Atmosphäre am englischen Hof, auch wenn die Plots historisch nicht korrekt sind und die Königin mit Cate Blanchett in der Hauptrolle unrealistisch hübsch wird. Der zeitgenössische Ausdruck sowohl der kulturellen Blüte als auch der Machenschaften im Elisabethanischen Zeitalter sind die Theaterstücke von Christopher Marlowe (1564 – 1593) und William Shakespeare (1564 – 1616). Sie verwursten Geschichte und Fantasie, Kabale und Liebe, Wissenschaft und Aberglaube, Philosophie und Boulevard so geschickt, dass sie das Volk und den Hofstaat bei Laune halten. Die Literaten zeichnen ein unterhaltsames und komplexes Bild von der Spaltung und den Widersprüchen, die das 16. Jahrhundert ausmachen: Einerseits gibt es Umbrüche im Weltbild wie die Entdeckung von Nikolaus Kopernikus, dass die Erde sich um die Sonne dreht, und nicht umgekehrt. Andererseits machen Leute wie Nostradamus, der Arzt des französischen Königs Karl IX., mit absurden, meist verschlüsselten Prognosen zu Leben, Tod und Weltuntergang Karriere.
Zwar landen Bücher und vor allem Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Doch beflügeln Leute wie François Rabelais mit seinen derben und ironisch gelehrten Büchern über die Riesen Gargantua und Pantagruel und Michel de Montaigne mit seinen Essais (1580) das selbstständige Denken der Menschen. Montaignes Buch gibt dem Essay als der literarischen Gattung für die freie, subjektive Meinungsäußerung ihren Namen. Derart gedanklich gerüstet, kann man sich zwar noch nicht völlig von der Gottesfurcht und Höllenangst befreien, aber doch schrittweise. »Sein oder Nichtsein?«, fragt Shakespeares berühmtester Held Hamlet nicht mehr Gott, sondern sich selbst und kreiert sich so eigenmächtig seine ganz persönliche Hölle auf Erden in Form einer Depression.
KAPITEL ZEHN
Die Kunst des Staates und das Buch der Welt
Das 17. Jahrhundert: Absolutismus, Dreißigjähriger Krieg, Verfassungsavantgarde und Wissenschaft
In Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Buch Der abenteuerliche Simplicissimus (1669), dem ersten deutschsprachigen Prosaroman von Weltrang, finden sich drastische Schilderungen aus dem Dreißigjährigen Krieg. Da graben Soldaten in einem Dorf auf der Suche nach Beute in der aufgewühlten Erde: »Sie kamen gleich auf ein Faß, schlugens auf, und fanden einen Kerl darinnen, der weder Nasen noch Ohren mehr hatte, und gleichwohl noch lebte.« Der lebendig Begrabene erzählt, wie fünf Kameraden und er überfallen wurden. Die Kameraden wurden erschossen, er gefoltert, verstümmelt und »gezwungen, dass er ihrer fünfen den Hintern lecken müssen«.
Derart überlieferte Grausamkeiten und Erniedrigungen sind prägend für das Bild, das man später vom 17. Jahrhundert hat. Tatsächlich weitet sich der Dreißigjährige Krieg zwischen 1618 und 1648 vom Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten zum Machtkampf der europäischen Großmächte aus und verwüstet das Gebiet des heutigen Deutschland wie kein anderer Krieg zuvor oder danach. Nicht nur dauert er fünfmal so lange wie der Zweite Weltkrieg, er rafft bis zu 50 Prozent der Bevölkerung auf dem Land hinweg, in den Städten um die 30 Prozent. Er hinterlässt tiefe Wunden.
Beim Stichwort 17. Jahrhundert denken wir häufig also nicht umsonst an blutige Gemetzel. Aber noch ein zweites, ganz anderes starkes Bild kommt einem in den Sinn: das vom barocken Prunk des Absolutismus. Hier sticht der französische König Ludwig XIV. hervor, der sogenannte Sonnenkönig. Im Schloss von Versailles tummeln sich ständig rund 4000
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