Was bisher geschah
säumen.
Den größten Einfluss auf das politische Denken seiner Zeit dürfte allerdings Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) gehabt haben, auch wenn er die Revolution von 1789 wie Diderot und Voltaire nicht mehr erlebt. Schlagartig berühmt wird Rousseau mit seiner Antwort auf die Preisfrage der Akademie von Dijon, ob Wissenschaft und Kultur den Menschen verbessert hätten: Er verneint. Statt des Fortschritts propagiert Rousseau einen naturhaft guten Zustand (»état naturel«) – auch im Kontrast zur Künstlichkeit des Ancien régime und des Rokoko-Stils. In Émile oder Über die Erziehung wirbt Rousseau für die freie, am natürlichen Verhalten ausgerichtete Pädagogik. Das veranlasst Voltaire zu der Bemerkung, nach der Lektüre habe er Lust bekommen, »auf allen vieren zu gehen«.
Einen Umsturz bedeutet Émile vor dem Hintergrund, dass Kinder zu dieser Zeit mit harter Hand erzogen werden. Man geht davon aus, dass die »tierische Natur« des Kindes durch strenge Erziehung bezähmt werden müsse. Zur Distanz, die Erwachsene gegenüber Kindern haben, trägt zum einen die hohe Kindersterblichkeit bei. Zum anderen stillen nur sehr arme Leute ihre Kinder selbst, viele Pariserinnen geben ihre Kinder, oft über Jahre, durch Agenturen vermittelt, zu Ammen aufs Land. Nur bei sehr reichen Städtern ist die Amme im Haus, Dienstboten hüten die Kinder. Wenn die Kinder von Adeligen und Großbürgern dann auch noch im Alter von sieben bis 16 ins Kloster oder zu den Jesuiten zur Erziehung kommen, kann man sich vorstellen, welchen Einfluss das auf die emotionale Entwicklung ganzer Generationen hat.
Umso beeindruckender, wie offen – und aus heutiger Sicht oft egozentrisch – Rousseau, der ein frühes Vorbild Napoleons ist, in seiner Autobiografie Bekenntnisse (Confessions , postum 1781 publiziert) über sein Innenleben plaudert. Dazu gehört seine heimliche sexuelle Neigung zum Masochismus: Sie geht, so Rousseau, auf eine »im achten Lebensjahre von der Hand eines dreißigjährigen Mädchens empfangene Kinderstrafe« zurück. Derartige Selbstbetrachtungen werden im 18. Jahrhundert zum Zeitvertreib der Privilegierten. Sie sind zugleich der ernsthafte Versuch, die eigene Persönlichkeit auf eine neuartig umfassende Art und Weise zu ergründen und sich eigenmächtig in der sich wandelnden Gesellschaft zu positionieren. Dazu passt Rousseaus Vorstellung von der volonté générale . In ihrem Sinn gliedert sich der Einzelne im Rahmen des contrat social in den Staat ein, damit die Volkssouveränität umso besser geschützt sei. Doch birgt der »allgemeine Wille« aufgrund seiner begrifflichen Unschärfe auch die Gefahr des Missbrauchs durch neuartige Diktaturen, sei es eine Diktatur des Volkes.
In Zeiten, in denen in Frankreich die Mehrheit nicht lesen kann, sorgen Wortgewandte für Furore. In Österreich machen fortschrittliche Denker wie Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) Musik. Dabei wirft der Freimaurer in seiner Operette Hochzeit des Figaro 1786 wohl als erster Hofmusiker direkt soziale Probleme auf und weist einen adeligen Aufreißer in seine Schranken. Auch damit unterscheidet er sich vom Barockstar Johann Sebastian Bach (1685 – 1750), dessen – damals spektakuläre- Neuerungen eher die Musik selbst betreffen.
Deutschsprachige Denkerhelden leisten Großes, doch fehlt eine Kulturmetropole samt politischen Salons. So fliehen viele besonders beherzt in die Welt der Dichtung, etwa die des Sturm und Drang bei Klopstock, Herder, Goethe (Die Leiden des jungen Werthers , 1774). Friedrich Schiller bringt in Stücken wie Die Räuber (1781) und Don Carlos (1787), in dem Gedankenfreiheit gefordert wird, die real fehlende Revolution auf die Bühne. Dem damaligen Glauben an die Volksaufklärung verpflichtet, will er in seiner Zeitschrift Die Horen über die »ästhetische Erziehung des Menschen« politisch wirken. Ebenfalls pädagogisch, definiert der preußische Professor Immanuel Kant (1724 – 1804) die Aufklärung als »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«. Philosophiegeschichtlich revolutionär – und damals für viele erschütternd – ist es, wenn er betont, dass man sich seines Urteils nicht sicher sein kann, da man die Dinge nicht unbedingt so wahrnimmt, wie sie sind, sondern gemäß den Voraussetzungen, die man (a priori) mitbringt.
Etwas stärker praxisorientiert, setzen im 18. Jahrhundert Denkerhelden wie Karl Philipp Moritz und Johann Heinrich Pestalozzi frische pädagogische Ideen
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